Weg mit den Pillen

mechanische Blutversorgung zum Herzen wiederherstellt, in einer solchen therapeutischen Situation der Keim zum Wunder liegt. Und dieses Wunder schafft der Patient aus sich , es wird nicht vom Arzt oder Therapeut geschaffen. Die Aufgabe des guten Therapeuten, des guten Arztes, des guten Heilers ist es, genau diesen Raum des möglichen Wunders zu schaffen und dem Patienten zu helfen daran zu glauben, dass das Wunder möglich wird. Dann geschieht es nämlich mit hoher Wahrscheinlichkeit. Dass daneben auch noch etwas kausal Wirksames vorhanden ist, hilft dem therapeutischen Mythos Kraft zu verleihen, ist aber eigentlich sekundär.
    Die therapeutische Kunst ist es, diesen Mythos vom möglichen Wunder immer wieder neu entstehen zu lassen. Und die Aufgabe eines gesellschaftlichen Gesundheitssystems ist es, therapeutische Räume zu schaffen, in denen das möglich wird. Momentan tun wir eigentlich alles, um genau diese Räume zu zerstören. Wir zerstückeln die ärztliche Zeit. Wir bezahlen Interventionen und nicht Zuwendung
und zwingen Ärzte dadurch, dass sie sich eben nicht dem Patienten zuwenden, sondern den Apparaten, oder dass sie irgendwelche Anwendungen vornehmen. Warum? Weil wir glauben, nur eine Intervention in die kaputte Maschine sei therapeutisch. Wir reduzieren die Kunst, ein Wunder entstehen zu lassen, auf den Rezeptblock und die Einnahme von Pillen.
    Wir müssten von interventionsbasierten Honorierungssystemen zu zeit- und zuwendungsorientierten Honorierungssystemen finden. Der Rest würde sich vermutlich rasch von selbst erledigen. Aber das würde bedeuten, dass wir nicht mehr oder nicht ausschließlich bezahlen, was verordnet wird und was getan wird, sondern dass wir andere Honorierungsmaßstäbe anlegen. Wir müssten zum Beispiel die Zeit finanzieren, die ein Arzt aufwendet, oder den Behandlungserfolg honorieren, egal, wie er erzielt wurde.
    Warum tun wir das nicht? Weil die mächtigsten Akteure im Krankheitswesen keinerlei Interesse daran haben, dass sich etwas ändert. Das sollten wir uns nun doch noch genauer ansehen. Ich habe in diesem Abschnitt versucht klarzumachen:
Krankheit ist Entfremdung von uns selbst und unserem tiefsten Wesenskern, von unserer näheren Umgebung, von unserem weiteren sozialen Umfeld und von unserem natürlichen Eingebettetsein.
Entsprechend ist Heilung eine Umkehrung dieses Prozesses.
Eine gute Therapie sollte genau diese Entfremdungsdimensionen aufdecken und Strategien finden, das Leben und seinen Kontext neu zu erfinden.
Therapie ist die Kunst einen Raum zu schaffen, in dem ein Wunder passieren kann. Unterschiedliche therapeutische Disziplinen tun dies mit jeweils unterschiedlichen Mythen. Der Punkt ist weniger, ob diese Mythen richtig oder falsch sind, sondern wie mächtig sie darin sind, dieses Wunder möglich zu machen.
Unser momentanes System ist nicht dazu angetan, solche Räume zu schaffen.

13.
Das Gesundheitssystem der Zukunft – eine Vision
    Der Schlüssel: Verantwortung
    Das Gesundheitssystem der Zukunft ist wirklich ein Gesundheitssystem und kein Krankheitsverwaltungssystem, wie es jetzt der Fall ist. Es gründet auf der Selbstverantwortung aller Beteiligten, vor allem derer, die im Moment »Patienten« genannt werden. In Zukunft werden es nämlich keine Patienten mehr sein, keine Leidenden, keine passiven Empfänger gesundheitsbezogener Dienstleistungen, sondern Handelnde: »Agenten«. Dazu müssen unser Ausbildungssystem und unser Gesundheitssystem die Bevölkerung erziehen – und unser Hochschulsystem die Ärzte.
    Die Menschen werden dann nämlich verstanden haben, dass Gesundheit etwas ist, das eigentlich den Normalzustand darstellt. Sie erzeugt sich selbst, immer wieder. Wir tragen durch unser Handeln oder Nichthandeln dazu bei, dass unser Organismus Gesundheit immer wieder neu entstehen lässt, von Moment zu Moment, von Tag zu Tag und von Jahr zu Jahr. Krankheit entsteht, wenn dieser organische Prozess gestört wird. Manchmal (und mittlerweile eher selten) durch nicht zu beeinflussende, von außen kommende Schadstoffe oder krankmachende Keime, manchmal durch Giftstoffe 131 , hin und wieder durch Unfälle. Meistens eher durch falsche Verhaltensweisen. Daher wird das Gesundheitssystem der Zukunft darauf ausgerichtet sein, Gesundheit zu erhalten, die Menschen darin zu unterstützen, so weit es geht selbst Verantwortung zu übernehmen, für die eigene Gesundheit tätig zu werden und gesund zu bleiben.
    Drei Bereiche: Akutversorgung – Gesundheitserhaltung –