Wege des Herzens
jünger aussehen lassen.
Auch Clara wollte am Mittwochabend jung aussehen.
Interessiert betrachtete Kiki Claras Haar. »Es ist sehr dick und glänzend für Ihr Alter«, sagte sie schließlich.
»Vielen Dank«, erwiderte Clara kühl.
»Ich meine, Sie wollen eine jüngere Ausstrahlung, sagten Sie. Ich will damit nur ausdrücken, dass Ihr Haar jung genug wirkt.« Ganz offensichtlich sprach sie die Wahrheit.
Clara lächelte. »Ja, aber das ist meine Arbeitsfrisur, ich will etwas für den Abend.«
»Gehen Sie zu einer Party?« Kikis Miene hellte sich auf.
»Ich muss ins Theater«, erklärte Clara.
»Treten Sie dort auf?«
»Nein, ich schaue mir ein Stück an, aber ich würde eben gern jünger aussehen. Ist das nun möglich oder nicht?« Clara wusste, das sie gereizt klang.
»Sie haben gute Ohren«, meinte Kiki. »Haben Sie vielleicht ein Paar schöne Ohrringe?«
»Ja, die habe ich zufälligerweise.«
»Gut, dann kürzen wir das Haar über den Ohren und peppen den Schnitt etwas auf. Genau das wollen Sie doch? Eine kleine Veränderung?«
»Ja, so könnte man das sagen. Okay, legen Sie los, verändern Sie mich.«
Kiki zuckte die Schultern. Heutzutage wurde es immer schwieriger mit den älteren Herrschaften. Früher kamen die Damen zwei Mal im Jahr zur Dauerwelle, und damit hatte sich der Fall. Heutzutage wollten sie alle gleich ein neues Image, eine radikale Verjüngungskur. Zum Glück, wie ihr Chef immer sagte, denn das war gut fürs Geschäft.
»Kommen Sie bitte mit zum Waschbecken, Madam«, sagte Kiki.
Als sie fertig war, brachte sie einen Spiegel, damit Clara ihren neuen Stil aus allen Blickwinkeln bewundern konnte. Es sah tatsächlich sehr gut aus.
»Vielen Dank, Kiki. Aber was haben Sie eigentlich genau damit gemeint, dass ich gute Ohren habe?«
»Sie sind gut geformt und klein und liegen eng an Ihrem Kopf an«, erklärte Kiki.
»Aber ist das nicht bei den meisten Leuten der Fall?« Nervös senkte Clara ihre Stimme.
»Oh, nein, Madam, da täuschen Sie sich. Manche Leute, die hier hereinkommen, haben Ohren, als wollten sie gleich damit abheben. Seien Sie stolz auf Ihre zierlichen Ohren, Madam, und zeigen Sie sie her!«
»Danke, Kiki.« Clara fragte sich, warum ihr zuvor niemand Komplimente über ihre Ohren gemacht hatte. Die Leute waren so unaufmerksam.
Sie sähe wunderschön aus, sagte Peter. »Irgendetwas ist anders, oder?«, fragte er.
»Ach, ich habe mir nur die Haare schneiden lassen«, erwiderte Clara betont lässig.
»Wissen Sie, dass Sie hübsche Ohren haben?«, fügte er bewundernd hinzu.
Clara wollte gerade einen ironischen Kommentar abgeben, als sie bemerkte, dass Peters Bewunderung echt war.
»Vielen Dank, Peter«, sagte sie deshalb nur, während sie ihre Plätze einnahmen.
Und so ging es die nächsten paar Wochen weiter. Peter lud Clara zweimal die Woche ein, und Clara schlug ihm einmal in der Woche eine Verabredung vor. Einmal ging sie mit ihm in den Zoo, und er nahm sie mit in den Zirkus. Seit dem Mittagessen bei ihr zu Hause vermieden sie es jedoch, sich privat zu treffen. Zu viele neugierige junge Menschen auf beiden Seiten. Das hätte die entspannte Natur ihrer Begegnungen nur zerstört. Keiner machte Versprechungen, keiner fühlte sich verpflichtet, keiner schmiedete Pläne für eine Zukunft. Die Beziehung passte beiden genau so, wie sie war.
Die Frage, Sex oder nicht, würde jedoch bald geklärt werden müssen.
Die Gute-Nacht-Küsse wurden bereits immer länger und inniger. Eigentlich waren sie zu alt für diesen Kram. Sie waren beide frei und ungebunden, doch keiner wollte der Erste sein, der den Vorstoß wagte, aus Angst, dass sich dann alles änderte. Und eines Tages kündigte Amy an, dass sie mit Ben zu einer Fortbildung fahren würde.
»Zu einer Einbalsamierfortbildung?«, fragte Peter.
»Nein, natürlich nicht.«
»Fortbildung in Sachen Fetisch?«
»Wir haben tatsächlich noch ein Privatleben neben der Arbeit, Dad. Wir fahren übers Wochenende zu einem Workshop für Kreatives Schreiben, wenn du es unbedingt wissen musst.«
»Das ist ja großartig. Und ihr werdet das ganze Wochenende weg sein?« Peter hoffte, dass sie die Begeisterung in seiner Stimme nicht heraushören würde. Das wäre die Gelegenheit, das Wochenende, an dem er Clara zu sich einladen könnte.
»Samstagabend werde ich nicht nach Hause kommen«, erklärte Clara ihren Töchtern.
»So – ist es der Witwer?«, fragte Adi.
»Eure erste Liebesnacht?«, wollte Linda wissen.
»Das
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