Wege des Herzens
nämlich eine Freundin mit sehr großen Füßen, erzählte sie. Vielleicht könne sie ja in Amys Geschäft elegantere Schuhe finden. Dervla beschwerte sich immer darüber, dass man in ihrer Größe nur bessere Gesundheitsschuhe bekomme.
Amy überlegte ernsthaft. »Ja, wir haben sicher etwas, das ihr passen könnte, aber warnen Sie Ihre Freundin schon mal vor, dass alle unsere Modelle mörderisch hohe Stilettoabsätze haben. Transvestiten wollen nicht unbedingt herumlaufen wie Pfarrersfrauen. Für sie kann es nicht glamourös genug sein.«
Clara nickte. Amy habe recht, meinte sie, es sei auf jeden Fall klug, Dervla vorzuwarnen. Sie sei ohnehin schon sehr groß und könne auf diesen hohen Absätzen möglicherweise gar nicht laufen.
Clara unterhielt sich auch angeregt mit Ben, so als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan, als mit Bestattern und Einbalsamierern zu plaudern. So besprachen sie eingehend die Notwendigkeit, im Fall einer Einäscherung eventuelle Herzschrittmacher zu entfernen. Manche Kunden vergaßen nämlich zu erwähnen, dass der Verstorbene einen Herzschrittmacher hatte, aber Ben hatte es sich angewöhnt, routinemäßig nach einer Narbe zu suchen. Und er erklärte Clara, dass es überhaupt nicht stimme, wenn die Leute glaubten, Haare und Fingernägel würden nach dem Tod noch eine Weile weiterwachsen. Die Nägel wirkten nur deswegen länger, weil die Haut an den Fingern schrumpfte.
Peter war verblüfft. Er hatte sich noch nie so lange und so detailliert mit Ben unterhalten. Jetzt stellte sich heraus, dass der junge Mann ein Experte auf seinem Gebiet war und seine verstorbene Klientel anscheinend mit viel Respekt und Würde behandelte.
Schließlich machte Clara Anstalten, sich zu verabschieden.
»Ich muss leider gehen, ich bin mit einer Kollegin verabredet. Wir gehen ins Kino«, erklärte sie.
»Kann ich nicht mitkommen?«, fragte Peter kleinlaut.
»Auf gar keinen Fall – meine Freundin Hilary ist seit dem Tod ihrer Mutter vollkommen durcheinander, und wir schauen uns einen richtig kitschigen Weiberfilm an. Der würde dir bestimmt nicht gefallen, Peter. Wir treffen uns ein andermal in dieser Woche.« Mit offenem Mund sahen ihr alle staunend nach, als sie die Treppe hinunterlief und in der Fußgängerzone verschwand.
»Ich werde am Samstag meinen Freund Peter zum Essen einladen«, kündigte Clara an. »Es wird Lachs geben, und es würde mich freuen, wenn ihr alle dabei sein könnt.«
»Hast du uns was zu erzählen?«, fragte Linda.
»Nein, es sei denn,
du
hast uns was zu sagen, Linda?«
»Sehr witzig«, erwiderte Linda. »War nur so eine Idee, sonst nichts.«
»Ist Gerry auch eingeladen?«, fragte Adi.
»Natürlich. Gerry gehört doch zur Familie.«
»Gibt es denn auch etwas, das
wir beide
essen können?«
»Ja, sicher, und wir anderen essen den Lachs.«
»Wie sollen wir ihn nennen, Mam?«, wollte Adi wissen.
»Peter, so heißt er.«
»Also nicht ›Daddy‹?« Linda gab keine Ruhe.
»Nein, Linda, nicht ›Daddy‹. Du weißt ja auch, wie Cinta heißt, wenn du deinen Dad besuchst. Es wäre nett, wenn du dich an den Namen ›Peter‹ ebenso erinnern könntest.«
»Wird er hier übernachten, Mam?«, fragte Adi.
»Nein, Adi.«
»Müssen wir uns schick machen?« Linda konnte wirklich nerven.
»Nein, Linda, seid einfach gegen sieben Uhr hier und seid nett zu ihm …«
Den dreien blieb vor Staunen der Mund offen stehen, als sie Peter erblickten. Er sah weitaus besser aus, als sie erwartet hatten. Unter einem Apotheker hatten sie sich einen alten, buckligen Mann vorgestellt, und stattdessen stand ein großer, attraktiver Mann vor ihnen, noch dazu mit einem sehr verschmitzten Lächeln.
Peter unterhielt sich mit Adi über ihren Unterricht, mit Gerry über Bio-Gemüse, und Linda entlockte er sogar das Versprechen, ihm zu zeigen, wie man einen iPod benutzte. Die Schwestern bombardierten ihn mit Fragen, die er bereitwillig beantwortete. Er sei schon lange verwitwet, erzählte er, habe eine Tochter, die ihn für einen Grufti halte, und verreise fast nie, doch dieses Jahr hoffe er, zu einem Kurzurlaub nach Italien zu fliegen, dort ein Auto zu mieten, auf der verkehrten Straßenseite herumzukutschieren und sich bestens zu amüsieren.
»Und bist du auch mit von der Partie, Mam?«, fragte Linda.
»Aber selbstverständlich«, sagte Clara, als wäre es tatsächlich das Normalste von der Welt.
Als Peter aufbrach, küsste er Clara auf die Wange, bedankte sich für den wunderbaren
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