Wege des Herzens
wahrscheinlich noch im Bett lag und sich von den Strapazen der vergangenen Nacht erholte.
»Haben Sie jetzt alle Leute, die Sie brauchen, Madam?«
»Nein, Ania, mir fehlt noch immer eine Büroleiterin, die sich um die Lohnbuchhaltung kümmert und die mir generell den Rücken freihält.«
»Den Rücken freihält?« Der Ausdruck war neu für Ania.
»Ja, die mir Ärger vom Leib hält.«
»Eine Sekretärin, meinen Sie?«
»So etwas Ähnliches, aber die in der Verwaltung wollen unbedingt, dass ich ein junges Mädchen einstelle. Doch ich brauche eine gestandene Frau, die es mit Monstern wie Frank Ennis und seiner Truppe aufnehmen kann. Von einem jungen Ding kann man das nicht erwarten.«
»Glauben Sie, dass Sie Erfolg haben werden, Madam?« Anias Augen leuchteten vor Begeisterung.
»Wenn ich die Richtige finde, können wir sie einstellen, bevor die anderen etwas davon mitbekommen. Das Problem ist nur, diese Person zu finden.«
»Das werden Sie schaffen, Madam. Das weiß ich.«
»Sie haben mehr Vertrauen in mich als ich selbst, Ania.«
»Wo wären wir im Leben ohne Vertrauen?«, fragte Ania, während sie nach einem Besen suchte, um hinter den Schreinern herzukehren, und anschließend für alle Tee kochte.
Gegen Ende der ersten Woche wusste Clara, dass es höchste Zeit war, dem örtlichen Apotheker einen Besuch abzustatten, der Peter Barry hieß, um die fünfzig Jahre alt war und auf den ersten Blick ein wenig umständlich wirkte. Ihm gehörte eine große Apotheke in der Fußgängerzone, ganz in der Nähe des Zentrums. Sobald die Klinik ihren Betrieb aufgenommen hatte, würden ihre Patienten von dort ihre Medikamente beziehen. Clara musste deshalb sicher sein, dass der Apotheker bei den diversen Arzneimitteln gegen Bluthochdruck und Herzerkrankungen auf dem neuesten Stand war, aber sie hätte sich ihre Bedenken sparen können.
Peter Barry war mit Sicherheit bestens informiert. Umständlich oder nicht, auf jeden Fall kannte er alle Forschungsberichte über die neuesten Medikamente und deren Kontraindikationen. Clara fühlte sich wieder in die Zeit ihres Medizinstudiums und der Vorlesungen zurückversetzt.
»Ich wünsche Ihnen von Herzen Erfolg für Ihr Zentrum«, sagte der Apotheker förmlich. »Eine Einrichtung dieser Art wird dringend benötigt, damit die Leute begreifen, dass sie ihre Herzprobleme selbst in den Griff bekommen können.«
»O ja, in der Tat, diese Klinik ist längst überfällig«, murmelte Clara. Ihre übliche höfliche Antwort, wenn man ihr erklärte, welche wertvolle Aufgabe sie damit erfüllte. Niemand durfte je erfahren, wie sehr sie dieses berufliche Abstellgleis verabscheute, auf das es sie verschlagen hatte. Sie würde ihre Arbeit so gut wie möglich erledigen und sich dann wieder verabschieden. Trotzdem lächelte sie munter.
»Sie haben recht. Wenn Sie nur sehen könnten, wie die Patienten auf ihre kleinen Pillenfläschchen fixiert sind, voller Angst, sie könnten nicht verstanden haben, welcher magische Zaubertrank sie am Leben erhält. Ich versuche, sie zu beruhigen, aber oft wollen die Menschen nur reden, Fragen stellen und einfach mehr über ihre Krankheit erfahren. Leider reicht die Zeit dafür nur selten.«
Clara war beeindruckt. Hinter der korrekten Fassade dieses Mannes verbarg sich mehr Menschlichkeit, als sie vermutet hätte.
»Sie haben bestimmt viel zu tun, das kann ich mir vorstellen. Haben Sie denn wenigstens einen oder zwei Mitarbeiter?«
Sofort wurde Peter Barry wieder sehr förmlich. »Sie können sicher sein, Dr.Casey, dass hier stets ein qualifizierter Apotheker anwesend sein wird. Aber leider habe ich nur eine Teilzeitkraft. Wissen Sie, ich hatte gehofft, dass meine Tochter Amy ins Geschäft einsteigen würde. Aber nun ja – Töchter!« Er zuckte die Schultern.
Clara konnte seine Gefühle bestens nachempfinden. »Was macht Amy denn stattdessen?«
»Sie versucht, sich selbst zu finden. Aber diese Suche dauert schon etwas länger.« Jahre der Enttäuschung lagen in seiner Stimme.
»Meine Tochter meint auch, unbedingt ein Jahr Auszeit nehmen zu müssen. Ein weiteres Jahr, in dem ich sie finanziell unterstütze und sie keinerlei Entscheidungen treffen muss.« Clara wusste, dass sie verbittert klang. Sie konnte nur hoffen, dass sie nicht ebenso kalt und hart über ihre Tochter herzog wie ihre Mutter über sie. Aber vielleicht hatte ihre Mutter ja auch einen guten Grund, von ihr enttäuscht zu sein. Was hatte sie denn schon erreicht in ihrem Leben? Zwei
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