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Wege des Herzens

Wege des Herzens

Titel: Wege des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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anzufassen.«
    »Warum hast du sie darum gebeten?«
    »Weil so jemand wie sie sich in der Küche einfach wohler fühlt, Carl, mein Schatz. Ich weiß, dass du der Meinung bist, alle Menschen auf der Welt sollten gleich sein, aber sie ist eben nur eine kleine polnische Putzfrau. Sie ist für einige Jahre hier, um sich ein paar Euros zu verdienen, und geht dann wieder zurück. Das ist sie, und das
weiß
sie auch. Sie hatte absolut nichts dagegen, beim Abwasch zu helfen.«
    »Aber von den anderen Gästen hast du keinen gebeten, in der Küche zu helfen?«
    »Carl, bitte, sei doch vernünftig.«
    »Ich bin vernünftig. Ania war auch ein Gast.
Mein
Gast. Ich habe sie den ganzen Abend nicht zu Gesicht bekommen, weil du sie in die Küche hinausgescheucht hast, obwohl du zugibst, dass genügend Leute zum Arbeiten da waren.«
    »Aber sie war hier deplaziert.«
    »Sie war
nicht
deplaziert. Sie hatte ein wunderschönes Kleid an, sie war extra beim Friseur gewesen. Und sie hat mehr als einen Wochenlohn ausgegeben, um dir ein Geschenk zu kaufen …«
    »O Gott, sie hat mir
tatsächlich
ein Päckchen gegeben. Wo ist es? Ich habe keine Ahnung, wo es abgeblieben ist.«
    »Und als Dank dafür hast du sie in die Küche hinausgeschickt, weil sie sich dort angeblich wohler fühlt.«
    »Ich
bitte
dich, Carl, ich war doch nur freundlich zu ihr.«
    »Nein, Mutter, du warst noch nie freundlich zu irgendjemandem. Du warst nie freundlich zu Dad, und zu mir auch nicht, und vor allem nie zu jemandem, von dem du annahmst, ihn herumschikanieren zu können.«
    »Ich weiß, dass du für dieses Mädchen freundschaftliche Gefühle hegst, Carl, aber das geht nicht. Sie kommt aus einer anderen Welt. Die Leute dort arbeiten sehr hart, ich weiß, aber sie sind nicht wie wir.«
    »Bitte, hör auf, und zwar sofort!«
    »Das ist mein Ernst. Du hast so viele Freunde und könntest noch mehr haben. Dieses Mädchen kann dir doch nichts bedeuten.«
    »Ich mag sie sehr. Ich glaube sogar, dass ich sie liebe.«
    »Du glaubst es!«, höhnte seine Mutter.
    »Ja, ich glaube es, weil ich nicht sicher bin. Ich bin mir ganz und gar nicht sicher, was es heißt, jemanden zu lieben. Vater liebt dich von Herzen, aber ich weiß nicht, warum. Also habe ich von ihm nichts über die Liebe lernen können. Und du liebst nur Geld und materielle Dinge. Du liebst die Menschen nicht, also was hätte ich von dir lernen können?«
    Rosemary hob beunruhigt den Kopf. »Du kannst dieses Mädchen unmöglich
lieben
, Carl. Sie tut dir nur leid. Das musst du doch wissen. Sie würde dir nur im Weg stehen.«
    »Mir im Weg stehen? Mich hindern? Woran?«
    »An einem normalen gesellschaftlichen Leben wie heute Abend. Sie wäre doch nie in der Lage, sich in unseren Kreisen zu bewegen und unsere Gepflogenheiten zu erlernen.«
    »Und deine Hilfe, ihr ›unsere Gepflogenheiten‹ nahezubringen, bestand darin, sie von der Party zu vertreiben, bei der sie
Gast
war? Würdest du dir vielleicht mal selbst zuhören, was du da sagst?«
    »Ich wollte einfach niemanden in Verlegenheit bringen. Das ist alles«, erwiderte Rosemary feindselig.
    »Mich hast du in Verlegenheit gebracht, Mutter, und zwar sehr. Ich schäme mich mehr als je zuvor in meinem Leben.«
    »Carl, das ist doch blanker Unsinn. Wir sollten jetzt besser ins Bett gehen.«
    »Ich werde keine einzige Nacht mehr in diesem Haus verbringen«, sagte er.
    »Das sagst du nur, weil du getrunken hast.«
    »Ich habe nicht ein einziges Glas Wein getrunken. Ich war zu beschäftigt, höflich zu deinen Freunden zu sein, zu Menschen, die alt genug sind, sich daran zu erinnern, zu einer Zeit in England gewesen zu sein, als es noch Schilder in den Auslagen gab, auf denen stand: ›Keine Schwarzen, keine Iren.‹ Ich habe mich lange mit einem Mann unterhalten, dessen Mutter Dienstmädchen in Boston war. Die Familie, in der sie arbeitete, hat sie fortgeschickt, weil sie nicht unterwürfig genug war. Später hat sie einen Bankbeamten geheiratet und ihrem Mann geholfen, Karriere zu machen und seine eigene Bank zu leiten.«
    »Aber das ist doch etwas ganz anderes …«
    »Es ist genau dasselbe, nur schlimmer für uns. Wir haben alles im Überfluss. In diesem Land besitzen wir so viel, und wir sollten uns freuen, dass alle diese Menschen zu uns kommen. Aber nein, die Hackordnung muss gewahrt bleiben, nicht wahr? Sogar bei uns, die wir doch noch vor nicht allzu langer Zeit selbst an unterster Stelle dieser Hackordnung standen.«
    Jetzt schäumte Rosemary vor Zorn. »Es

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