Wege des Herzens
fremden Gärten zu arbeiten, Kuchen zu backen und zusätzlich noch Hunde auszuführen. Hilary übernahm private Buchführungsaufträge von kleineren Firmen oder wohlhabenden Privatpersonen, die sie gut bezahlten.
Dan verschwand aus ihrem Leben, als Nick elf Jahre alt war, exakt so alt, wie Hilary damals gewesen war, als sie ihren Vater verloren hatte. Doch Dan entschwand nicht mit einer Frau im schwarzen Ledermantel in den Süden Englands. Dan ertrank in einem tiefen, dunklen See in den irischen Midlands, wo er mit einem Kumpel verabredet gewesen war, der ihm eventuell einen Job hätte verschaffen können. Die Polizei kam zu ihnen ins Haus, um Hilary, ihren Sohn und ihre Mutter darüber zu informieren. Die Beamten waren sehr freundlich. Sie kochten sogar Tee für die schockierte kleine Familie, und als sie wieder gingen, wussten die Polizisten ebenso wenig über den Mann, der ertrunken war, wie zuvor, außer, dass er drei am Boden zerstörte Menschen hinterließ.
Es existierte eine kleine Lebensversicherung. Jessica bestand darauf, damit eine elegante Beisetzung für Dan Hickey auszurichten. Er hätte es sich so gewünscht. Hilary war zu schockiert und wütend, um sich dagegen zu wehren.
Warum
war er in einem unbekannten See geschwommen?
Warum
hatte er sie verlassen, bevor sein Sohn überhaupt Gelegenheit hatte, ihn richtig kennenzulernen?
Doch in der Rückschau war Hilary zutiefst gerührt und dankbar, dass ihre Mutter auf einer anständigen Beerdigung bestanden hatte. Die leckeren Kanapees in dem schicken Hotel, Dans zahlreiche Freunde und Bekannten, von denen ihm kein einziger einen Job, einen Vertrag oder eine Empfehlung hatte besorgen können – sie alle waren nur allzu gern zum Leichenschmaus gekommen. Es war genau so gewesen, wie Dan es sich gewünscht hätte. Hilary bereute die Entscheidung nicht einen Moment.
Und in der darauffolgenden Zeit hatte Hilary alles darangesetzt, Nick eine ebenso gute und glückliche Kindheit zu ermöglichen wie Jessica ihr. Als Nicks Interesse für Musik erwachte, finanzierte sie seine Privatstunden, ohne deswegen viel Aufhebens zu machen. Hilary wusste, dass Nicks Freunde ihn um sein verrücktes Zuhause mit den beiden alten Frauen beneideten. Für Jungen in seinem Alter gehörte sie derselben Generation wie ihre Mutter an. Und so vergingen die Jahre. Hilary fand nie mehr einen Mann, der auch nur annähernd so attraktiv gewesen wäre, dass sie eine Beziehung überhaupt in Betracht gezogen hätte. Es mangelte ihr nicht an Angeboten, ihr, der hart arbeitenden Witwe mit eigenem Haus, einem guten Einkommen, einem unkomplizierten erwachsenen Sohn, der komponierte und Musik unterrichtete, und einer fröhlichen Mutter, die in ihrer Einliegerwohnung nicht weiter störte. Hilary hatte jede Menge zu bieten, das heißt, zumindest damals.
Doch seit ihre Mutter immer gebrechlicher und vergesslicher wurde und immer weniger allein zurechtkam, achtete auch Hilary immer weniger auf ihr Äußeres. So war es eben, wenn man älter wurde. Hilary konnte und wollte es nicht begreifen, dass Jessica ihren feinen Intellekt, ihr großzügiges Wesen und generell ihre Geisteskraft verlieren sollte.
Aber Jessica ahnte, was auf sie zukam, und als sie erkannte, was die Zukunft für sie bereithielt, schrieb sie einen Brief, nicht lang und auf der Maschine getippt:
Je älter ich werde, desto vergesslicher werde ich, und es ist gut möglich, dass ich eines Tages nicht mehr weiß, wo ich bin oder wer ich bin und, was viel wichtiger ist, wer Ihr seid. Deshalb wollte ich mich von Euch verabschieden, solange ich noch klar im Kopf bin, und allen danken, solange ich noch alle meine Sinne, oder wenigstens ein paar davon, beisammen habe.
Ich hatte ein sehr gutes Leben, und ich hoffe, Ihr seid nicht böse auf mich, wenn ich in naher Zukunft ziemlich verwirrt sein werde. Aber mein richtiges Ich, das da drinnen in mir, wird sich immer an Euch erinnern …
Dann fügte sie für jeden noch ein paar Zeilen hinzu. An Hilary schrieb sie:
Du bist einfach die beste Tochter auf der Welt. Vergiss das nie. Tu, was Du tun musst, wenn die Zeit gekommen ist. Ich werde Dich trotzdem immer lieben …
Mam
Ihre Mutter erteilte Hilary damit quasi die Erlaubnis, sie aus dem Haus zu geben. War das großzügig oder gar vernünftig? Doch das würde Hilary auf keinen Fall tun.
Freudlos blickte Hilary auf ihr Konterfei im Spiegel. »Was wollen Sie denn nun mit meinen Haaren machen?«, fragte sie Kiki.
»Ich werde Ihrem Haar
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