Wege des Herzens
gesehen.
Warum war er dann nicht bei ihnen geblieben, um es mitzuerleben, fragte sich Hilary. Doch ihre Mutter konnte ihr auf diese Frage nie eine Antwort geben, und ihr Leben verlief nie mehr in denselben ruhigen Bahnen wie zuvor. Hilary sah ihren Vater nur noch ein Mal im Jahr, und ihre Mutter hatte kaum noch Zeit, da sie den Nachbarn im Garten half und für alle ihre Bekannten Kuchen backte. Aber sie ermutigte ihre Tochter, am Freitagabend Freunde zu sich nach Hause einzuladen, und da sie ohne ihren Vater jetzt viel Platz hatten, konnten sie zwei zahlende Gäste bei sich aufnehmen. Das waren Violet und Noreen, zwei Frauen, die in einer Bank arbeiteten und sehr zurückgezogen lebten. Mit der Zeit kehrte wieder Routine ein in Hilarys Alltag. Wenn sie aus der Schule nach Hause kam, gab es ein Glas Milch und ein paar selbst gebackene Kekse, danach wurden Schularbeiten gemacht.
Später wies Violet sie in die Buchführung ein, und Noreen brachte ihr auf einer alten Schreibmaschine mit abgenutzten Tasten das Tippen bei. Als sie mit achtzehn Jahren die Schule verließ, hatte Hilary die ersten Schritte in Richtung einer Karriere als Sekretärin bereits gemacht und eine gute Allgemeinbildung erlangt, wie die Frauen es für sie vorgesehen hatten. Sie wäre zwar gern an die Universität gegangen wie einige ihrer Schulfreundinnen, doch sie sah ein, dass dafür kein Geld vorhanden war. Ihre Mutter half den Nachbarn schließlich nicht aus reiner Freundschaft im Garten und backte Kuchen für fremde Leute. Sie tat das, um den Lebensunterhalt für sie beide zu verdienen.
Hilary besuchte eine Sekretärinnenfachschule, und da ihre beiden Untermieterinnen sie so sehr gefördert hatten, lernte sie den Stoff in kürzester Zeit. Innerhalb weniger Monate bestand sie die Prüfungen mit Auszeichnung und war bald in der Lage, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen. Ihre erste Stelle bekam sie in der Verwaltung eines Krankenhauses, und in der Branche blieb sie. Da Hilary sich lange Zeit ausschließlich auf ihre Arbeit konzentriert hatte, vernachlässigte sie darüber vollkommen das Thema Männer und Ehe. Das heißt, bis sie Dan Hickey traf.
Alle ihre Freunde warnten sie vor ihm. Der Mann sähe einfach viel zu gut aus, meinten sie, und er sei unzuverlässig. Wenn er ihretwegen seine Verlobte verlassen habe, könne sie leicht dasselbe Schicksal ereilen. Und einen richtigen Beruf habe er auch nicht. Mit einem Wort – er sei ein Gigolo, der eine reiche Frau brauchte, die ihn aushielt. Nur Hilarys Mutter teilte ihre Begeisterung für Dan. Besorgt berichtete Hilary Jessica von den Bedenken ihrer Freunde.
»Vielleicht sieht er wirklich zu gut für mich aus, Mutter, was dann?«, fragte sie ängstlich.
»Unfug, Hilary, du hast doch was zu bieten. Du bist jung und hübsch, du hast einen guten Beruf, und du hast dein eigenes Haus.«
»Er kann doch nicht bei uns einziehen«, meinte Hilary entgeistert.
»Wo soll er denn sonst hin? Ich habe lang und hart dafür gearbeitet, das Haus für dich zu erhalten. Außerdem haben wir jetzt keine zahlenden Gäste mehr. Richte mir hinter der Küche eine kleine Einliegerwohnung ein, das reicht mir vollkommen.«
»Aber das hieße ja, dich aus deinem eigenen Haus zu vertreiben …«, setzte Hilary an.
»Nein, heißt es nicht. Außerdem schaffe ich die Treppen bald ohnehin nicht mehr. Und auf diese Weise habe ich Gesellschaft und bin trotzdem unabhängig. Was kann ich mir Besseres wünschen?«
»Aber können wir uns einen Anbau überhaupt leisten?«
»Und ob wir das können. Ich habe mir das Geld dafür vom Mund abgespart. Ich habe doch nur auf diesen Tag gewartet.«
»Noch ist es nicht so weit. Dan hat mich noch nicht gefragt.«
»Er wird dich fragen. Sei einfach offen dafür«, hatte Jessica ihr geraten.
In der Woche darauf machte Dan Hilary einen Heiratsantrag.
»Ich bin aber kein guter Fang«, meinte er entschuldigend.
»Du bist der einzige Fang, den ich jemals machen wollte«, hatte Hilary erwidert, und er schien sich sehr darüber zu freuen. Er freute sich noch mehr, als er erfuhr, dass er sich keine Gedanken darüber machen musste, wo das junge Paar wohnen sollte, und nach einer in aller Stille vollzogenen Hochzeit zog Dan bei den beiden Frauen ein.
Dan war permanent auf Achse und traf sich mit allen möglichen Leuten, um irgendwelche Geschäfte anzubahnen oder Kontakte zu knüpfen. Doch in den zwölf Jahren ihrer Ehe verdiente er nicht einen einzigen Penny. Dafür fing Jessica wieder an, in
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