Wege im Sand
musst nach Hause, zu Nell.«
»Ich weiß.«
Sie zogen ihre Badesachen an, dann umarmten sie sich. Jack hielt ihre Hand, sah sie fragend an, als er sich anschickte, ins Wasser zu springen.
»Geh nur. Ich bleibe noch.«
»Es ist windig – die Wellen werden immer höher. Bitte, Stevie.«
»Nein. Ich brauche noch ein wenig Zeit … mach dir keine Sorgen um mich.«
Er hielt lange Zeit ihre Hände. Sie betrachtete sein wechselndes Mienenspiel, die Sorgenfalten auf seiner Stirn. Wenn sie sich nur früher kennen gelernt hätten, oder später, oder auf andere Weise; wenn sie beide weniger Altlasten gehabt hätten. Die Wellen schwappten gegen das Floß, und Stevie dachte: Wenn nur, wenn nur …
»Ich bringe es nicht über mich, dich allein zu lassen«, sagte er.
»Bitte.« Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und dieses Mal gab es keine Dunkelheit, die ihre Tränen verbarg.
»Stevie?«
»Bitte …«, sagte sie erneut. Er nickte. Er küsste sie ein letztes Mal, dann tauchte er mit einem Kopfsprung ins Wasser. Sie blickte ihm nach, als er zur Küste zurückschwamm, sich weiter und weiter entfernte. Tränen strömten über ihre Wangen, als er aus dem Wasser stieg und sein Hemd aufhob. Er drehte sich um und hob kurz die Hand, winkte, ein endgültiges Lebewohl; dann drehte er sich um und stapfte davon, zu seiner schlafenden Tochter, zu einer anderen Felsenküste am anderen Ende des Ozeans, seiner Zukunft entgegen.
Stevie setzte sich auf das Floß und sah ihm nach, bis er ihren Blicken entschwand.
22. Kapitel
N ell konnte nicht glauben, dass dies kein böser Traum war. Die Koffer waren gepackt, ihr Vater fegte den Küchenfußboden, die Mineralwasserdosen und Wasserflaschen waren fein säuberlich neben der Tür aufgestapelt, bereit für den Müllcontainer, und die Dame von der Immobilienfirma stand da und sagte: »Ich hoffe, Sie kommen nächstes Jahr wieder.«
»Dann werde ich mich gerne wieder an Sie wenden«, meinte ihr Vater, den Kehrbesen in der Hand.
»Sie haben bis zum Ende des Monats bezahlt«, sagte die Immobilienlady. Sie war braun gebrannt und hübsch, mit lockigen braunen Haaren und einem pinkfarbenen geblümten Kleid. »Tut mir Leid, dass ich Ihnen das Geld nicht zurückerstatten kann, aber leider habe ich für diesen Sommer keine anderen Mieter.«
»Ist schon in Ordnung«, erwiderte ihr Vater. Er fegte weiter. Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl, aber die Immobilienlady kapierte es nicht.
»War das Cottage nicht nach Ihrem Geschmack? Oder hat Ihnen Hubbard’s Point nicht gefallen?«
»Es hat uns sehr gefallen«, warf Nell ein, die in ihrem gelben Sommerkleid in der Ecke gestanden hatte, die Arme über der Brust verschränkt, und zum ersten Mal seit Wochen, seit sie hierher gekommen waren, schick angezogen war.
»Aber …?«
»Eine Änderung unserer Pläne«, antwortete ihr Vater. Dann lehnte er sich auf seinen Besen und fügte, als sei ihm klar geworden, wie kurz angebunden und ruppig seine Worte klangen, hinzu: »Rein beruflicher Natur.«
»Das ist gemein!«, fiel Nell ein.
»Nell …«
»Das ist einfach unfair! Ich möchte nicht weg. Du fliegst nach Schottland, und ich bleibe hier. Die Miete für das Haus ist bezahlt, Dad.«
Ihr Vater warf der Immobilienlady ein notdürftiges Lächeln zu, die halb entgeistert und halb sensationslustig den Schlagabtausch im Vater-Tochter-Duell verfolgte. »Ich glaube nicht, dass Mrs. Crosby das für eine gut Idee halten würde.«
»Nein, wohl eher nicht. Und abgesehen davon, willst du deinen Daddy nicht lieber nach Schottland begleiten? Das ist doch toll!«
»Genauso toll, wie sich die Augen von Seemöwen aushacken zu lassen«, murmelte Nell mit zusammengebissenen Zähnen.
»Schottland ist herrlich!«, meinte die Dame, und Nell erkannte an ihrem Ton, dass sie darauf aus war, ihrem Vater zu gefallen. »Heidekraut, Lochs und Schlösser … und Schottenkaro- und Tweedstoffe zu Spottpreisen. Nicht zu vergessen den Scotch für deinen Vater …« Sie lachte.
»Dad«, sagte Nell, die begriffsstutzige Mrs. Crosby und ihre Koketterie ignorierend. »Wir haben hier auch ein Schloss. Ich komme nicht mit. Ich bleibe bei Stevie.«
»Nell …«
»Sie erlaubt es mir bestimmt! Ich wette, sie freut sich sogar. Ich könnte ihr beim Malen helfen. Und ihr Ratschläge geben, was Kinder gerne lesen. Sie hat gesagt, ich hätte ihr viele Anregungen für die Geschichte mit den Kolibris gegeben … ich könnte ihr noch mehr helfen, massenhaft.«
»Wir werden Stevie nicht
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