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Wege im Sand

Wege im Sand

Titel: Wege im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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zum Strand hinunter, um sich auf ein Stück Treibholz zu setzen. Ihr Vater und die anderen Ingenieure versuchten eine Brücke zu konstruieren, die für die Inselbewohner schön genug war und praktisch genug für die Ölgesellschaft, damit der Lastverkehr zur Raffinerie und zurück reibungslos verlief. Ihr Vater meinte, dass sie seiner Arbeit keine Beachtung schenkte, doch das war ein Irrtum. Die Brücken, die er baute, interessierten sie sogar sehr. Alles was er tat, interessierte sie.
    Ihr Notizbuch füllte sich allmählich mit Eintragungen aller Art. Sie machte sich Notizen über das kalte Wasser, das silberfarbene Treibholz, die geriffelten Wellhornschnecken und die winzigen Muschelschalen. Sie zog die Schuhe aus, um die Wassertemperatur zu prüfen, und schrieb: kalt! Als Vögel über ihr dahinflogen, schirmte sie die Augen vor der Sonne ab und merkte sich ihre Formen. Dann versuchte sie, die Silhouetten nachzuzeichnen.
    Diese Bucht war, wie alle anderen, die ihr Vater und sie auf den Inseln zu Gesicht bekommen hatten, mit großen glatten Steinen und kleinen Kieselsteinen bedeckt. Einige waren schwarz und sahen verschrumpelt aus – wie Walnüsse. Als sie einen aufhob, waren ihre Finger voller Schmiere. Sie wusch sich die Hände, aber der Belag wurde nur noch klebriger.
    Ihr Vater hatte sich mit Mr. Buchanan und Mrs. Maguire unterhalten. Als Nell zu ihm gelaufen war, um ihm ihre Hände zu zeigen, hatte Mr. Buchanan eine Grimasse gezogen und die Augen verdreht. »Die Kehrseite dieses speziellen Projekts«, hatte er gesagt und Nell sein Taschentuch angeboten. Nell war verwirrt, vor allem als Mrs. Maguire ihn aufforderte, das hübsche Leinentaschentuch wieder einzustecken und ein kleines, in Folie eingewickeltes quadratisches Päckchen hervorzog. »Du wirst dir davon einen Vorrat anlegen müssen, wenn sie häufiger am Strand umherstreift«, hatte sie zu Nells Vater gesagt.
    Ihr Vater nahm das Päckchen, riss es auf und wischte Nells Finger sauber. Als sich ihre Blicke trafen, lächelte er beschwichtigend.
    »Was war das?«, fragte Nell.
    »Öl«, erwiderte Mr. Buchanan. »Brooks hat zwar Reinigungstechniken entwickelt, die dem neuesten Stand entsprechen, aber es gibt immer das eine oder andere Problem, das durch das Sicherheitsnetz fällt.«
    »Öl? Wie das, in dem die Vögel verendet sind?« Nell sah ihren Vater mit zusammengekniffenen Augen an. Er nickte, aber mit einem Ausdruck, der ihr sagte, dass es besser war, das Thema auf sich beruhen zu lassen. Die Erwachsenen unterhielten sich daraufhin über Wissenschaftler, die Vögel mit einer Spezialseife wuschen, so dass sie unbeschadet davonfliegen konnten, doch Nell sah die mit Schmiere bedeckten schwarzen Vogelleichen auf dem Zeitungsfoto vor sich und wusste, dass die Geschichte nur dazu dienen sollte, das schlechte Gewissen zu beruhigen.
    Nell fühlte sich hundeelend. Wieso glaubten sie, eine Spezialseife sei ausreichend, um den Schaden zu beheben? Ihre Finger rochen immer noch nach Benzin. Tränen traten in ihre Augen, als sie daran dachte, dass die Vögel einen so ekelhaften Schmierfilm auf ihrem Gefieder hatten.
    Sie warf einen letzten Blick über die Schulter und machte sich auf den Weg zum Strand. Kühles klares Sonnenlicht glitzerte auf dem Wasser der kleinen Bucht. Über den steinigen Strand zu gehen war schwer, doch sie bahnte sich langsam ihren Weg, suchte den Boden vor ihren Füßen nach Muschelschalen ab. Weiter vorn entdeckte sie eine Schar Seemöwen, die an etwas pickten, was ans Ufer gespült worden war. Als Nell sich näherte, stoben die Vögel auseinander und flogen davon – ihre anklagenden Schreie gellten in ihren Ohren.
    Die Beute, an der sie sich gütlich getan hatten, war tot, lag leblos auf den Felsen. Als sie näher kam, sah sie, dass es eine Ente war, mit Teer verklebt und einer klaffenden Wunde an der Seite, gerade erst von den Möwen gerissen. In der Bucht entdeckte sie Enten mit ähnlicher Zeichnung. Die Entenfamilie, dachte sie, sich an Ebby erinnernd – und wie die Krähenschar sich vor Stevies Haus versammelt hatte. Ohne auch nur zu überlegen, sprang sie auf und fuchtelte wild mit den Armen, um die Enten zu vertreiben.
    »Weg mit euch!«, schrie sie. »Weg mit euch … fliegt!«
    Sie sollten sich in Sicherheit bringen, statt in eine Öllache zu geraten wie die Ente, die tot zu ihren Füßen lag. Sie sah, wie sie über die Oberfläche des Wassers tänzelten, zum Flug ansetzend mit ihren Schwimmflossen die Wellen peitschten,

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