Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wege im Sand

Wege im Sand

Titel: Wege im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
Vom Netzwerk:
konnte trotzdem sehen, wie sich Nell an das Fensterglas lehnte, die Hände an der großen Scheibe emporgestreckt. Er wusste, dass sie weinte, auch wenn er ihr Gesicht nicht klar erkennen konnte. Er wusste es, weil er ihre Flaschenpost gelesen hatte und ihm ebenfalls nach Weinen zumute war.

    Stevie saugte alles in sich auf wie ein Schwamm – jedes Wort, das ihre Tante sagte, die ungewohnte Geschäftigkeit, die auf dem Lovecraft Hill herrschte, den neuen Malstil ihrer Tante, der an ein Wunder grenzte, und ihre Ansichten über die Angst. Sie rief sich das Gespräch wieder in Erinnerung wie einen kostbaren Schatz, während sie zu entscheiden versuchte, was sie jetzt tun sollte. Das Septemberlicht ergoss sich in ihr Atelier, heller als je zuvor. Eine Idee nach der anderen ging ihr durch den Kopf – ein endloser Reigen, so dass sie weder schlafen noch still sitzen konnte. In manchen Augenblicken, wenn sie fürchtete, Jack und Nell nie wieder zu sehen, war sie von Verzweiflung erfüllt. Doch dann begann sie zu arbeiten, eingehüllt in das goldene Licht des Strandes, und spürte, wie ein tiefer Friede in ihr Herz einzog.
    Am nächsten Morgen, Stevie war gerade vom Schwimmen heimgekommen, läutete das Telefon. In ein Handtuch gewickelt und in der Herbstluft zitternd, rannte sie los, um abzuheben.
    »Hallo?«
    »Hallo Stevie – ich bin’s.«
    »Maddie!«
    »Wir geht es dir?«
    »Gut – und dir?«
    »Mit jedem Tag besser. Vor allem seit ich deine Nachricht erhalten habe, dass du nach Rhode Island kommst.«
    Stevie hatte darauf verzichtet, sie anzurufen. Ihre Gefühle für die Mitglieder der Kilvert-Familie waren immer noch ein wunder Punkt. Sie konnte nachempfinden, wie schwierig die Begegnung zwischen Jack und Maddie gewesen sein musste, aber sie schien der Auslöser für seine Entscheidung gewesen zu sein, in Schottland ein neues Leben anzufangen. Nicht dass sie Maddie auch nur im Geringsten die Schuld daran gab – aber sie vermisste Jack und Nell sehr.
    »Es ist eine Hochzeit im engsten Familienkreis, an diesem Samstag«, erklärte Stevie. »Ich werde Freitag und Samstag in Newport übernachten und dachte, vielleicht hast du Lust rüberzukommen; wir könnten Freitagabend miteinander essen gehen oder uns Sonntag zum Brunch treffen.«
    »Wir wäre es mit Freitag – ich muss dir so viel erzählen, und je früher, desto besser … Aber veranstalten die zwei keine Generalprobe, Abendessen eingeschlossen, bei der deine Anwesenheit erforderlich ist?«
    »Sie hatten die letzten fünfzehn Jahre Gelegenheit zum Proben.« In Stevies Stimme schwang die Zuneigung mit, die sie für Henry empfand. »Nein, alles soll ganz zwanglos ablaufen. Ich habe keinerlei Verpflichtungen. Wo treffen wir uns? In einem Restaurant am Strand?«
    »Dachte ich auch. Newport selbst hat nichts dergleichen zu bieten, aber in der Nähe des Memorial Boulevard gibt es ein nettes Lokal, am Easton’s Beach. Es heißt Lilly Jane’s, direkt an der Strandpromenade. Dort bringen sie den besten Fisch in der ganzen Stadt auf den Tisch, frisch gefangen, und der Limonenkuchen mit Pistazien ist ein Gedicht.«
    »Solange wir gemeinsam einen Strandspaziergang im Sand machen können.«
    »Können wir.«
    »Und die Wellen hören …«
    Sie wusste, trotz allem, was geschehen war, dass der Strand ein Allheilmittel war, auf das sie sich verlassen konnte.
    »So gesehen, wen interessiert schon das Essen?«, sagte Maddie.
    »Genau«, erwiderte Stevie leise. »Das Wichtigste ist, dich wiederzusehen. Das ist das Einzige, was zählt.«

27. Kapitel
    N ewport hatte auch im September nichts von seiner Geschäftigkeit verloren. Boote rüsteten sich, im Süden zu überwintern, lagen Seite an Seite im Hafenbecken oder schaukelten an den Liegeplätzen, die weißen Rümpfe im Sonnenlicht schimmernd. Die Hotels im Hafen waren ausgebucht mit Touristen, die noch ein weiteres Wochenende unter freiem Himmel verbringen, einen letzten Samstagabend unter dem sommerlichen Sternenzelt speisen wollten.
    Tante Aida hatte eine Reihe benachbarter Zimmer im Maplehurst Manor reservieren lassen, einem alten viktorianischen Herrenhaus am Fuße der Dresser Street. Es besaß breite elegante Veranden, zahlreiche Schornsteine und zehn altehrwürdige chinesische Ahornbäume, die dem Garten Schatten spendeten, einem Kapitän zur See huldigend, der Handel mit China betrieben hatte und das Haus im neunzehnten Jahrhundert erbaute.
    Hinter dem aus blauen Schindeln errichteten Landgasthof begann der Cliff

Weitere Kostenlose Bücher