Wege im Sand
offene Meer, mein Lieber.«
»Du hast das schon hinter dir. Drei Mal.«
Stevie zuckte zusammen. »Erinnere mich nicht daran«, lag ihr auf der Zunge, aber sie schwieg. Ja, sie hatte drei Ehen hinter sich. Während sie mit Henry auf der Veranda saß, konnte sie seine Aufregung, seine Vorfreude, aber auch seine Ängste nachempfinden. Heute war der Vorabend seiner Hochzeit. Sie schloss die Augen, erinnerte sich, wie es ihr an diesen Abenden gegangen war: Sie hatte immer fest daran geglaubt, dass der Weg, der vor ihr lag, der richtige war. Hatte sie sich geirrt – nur weil er nicht zum erhofften Ziel führte? Nicht einmal jetzt war sie sich sicher.
»Was meinst du dazu?«, fragte Henry.
Stevie griff zwischen die beiden Schaukelstühle, nahm seine Hand und drückte sie. »Dass deine Angst real ist … und nicht ganz unbegründet.«
»Mist. Aber trotzdem danke, Lulu.«
Sie hielt seine Hand ein wenig fester. »Dass sie da ist, hat seinen Grund, Henry. Du bist seekrank geworden, weil sich dein Instinkt zu Wort gemeldet hat, dein Körper dir etwas sagen wollte. Bevor du ein hochdekorierter Marinekommandant wurdest, warst du ein Mensch wie jeder andere, ein Mann, ein kleiner Junge. Mit einem gesunden Selbsterhaltungstrieb, der sich tief in unserem Inneren, hinter der Fassade des Heldenmuts verbirgt … Du hast gespürt, dass die Wellen größer wurden, und dich instinktiv dagegen gewehrt, verschlungen zu werden.«
»Willst du damit sagen, dass die Ehe uns mit Haut und Haaren verschlingt?«
Stevie legte den Kopf zur Seite, dachte nach. Doch seltsamerweise wurden ihre Erinnerungen an die Vergangenheit von ihren Gefühlen für Jack und Nell verdrängt. »In gewisser Weise schon«, sagte sie. »Sie vereinnahmt dich, durch deine Sehnsucht, deine Anteilnahme, deine Liebe … So nahe du dich deinem Partner auch fühlen magst, du sehnst dich immer nach mehr Nähe. Wenigstens war das bei mir der Fall. Plötzlich sind die Wünsche und Bedürfnisse eines anderen Menschen das Wichtigste auf der Welt … und wenn du nicht aufpasst, vergisst du dabei deine eigenen.«
»Was wäre, wenn sich herausstellt, dass es bei mir genau umgekehrt ist? Wenn ich mich als ausgemachter, unbelehrbarer Egoist entpuppe, der nur noch vor dem Fernseher hockt, um Football anzuschauen, und den Hochzeitstag vergisst?«
»Das wird Doreen schon zu verhindern wissen.« Stevie lächelte. »Sie kennt dich in- und auswendig.«
»Ich mache mir Sorgen wegen gestern Nacht. Weil ich mich so hundeelend gefühlt habe. Vielleicht war das ein Zeichen, dass ich nicht für die Ehe tauge und – wie du sagtest – mein Körper mir das klar machen wollte! Es kommt doch vor, dass der Körper nicht mitspielt, wenn er zum Beispiel nach einer Transplantation das Spenderherz abstößt. Sozusagen meutert.«
»Keine Bange, das ist wie der erste Tag auf See. Die Seekrankheit dauert nicht lange an, da muss man durch. Du gerätst ein bisschen in Panik, doch dann denkst du daran, dass du ein Seebär bist, dein Schiff heil durch so manchen Wirbelsturm gebracht hast und nach deiner Rückkehr viel erzählen kannst. Die Angst dauert nur einem Moment – wenn du sie überwunden hast, liegt eine fantastische Reise vor dir.«
»Ich hätte Doreen beinahe verloren.«
Stevie nickte. Seine Augen spiegelten Bedauern und Melancholie wider, aber auch Erleichterung.
»Aber nur beinahe. Genau genommen hast du sie gefunden.«
»Das wünsche ich dir auch, Lulu. Ich glaube, du hast auch endlich gefunden, was du …«
Stevie hob abwehrend die Hand. Es schmerzte zu sehr, über Jack zu reden. Sie wusste, dass Tante Aida ihm eine Einladung geschickt hatte – mitsamt einer ganzen Flut von Informationen über das Schlossprojekt, die Gründung der Stiftung und den Baubericht. Natürlich kam er nicht – wie sie von Aida wusste, die seine Absage als herbe Enttäuschung empfand, so dass Stevie am Ende sie trösten musste.
»Es ist deine Hochzeit«, sagte Stevie und tätschelte Henrys Arm. »Hier geht es nur um dich! Ich freue mich so für dich.«
»Ohne dich hätte ich das nicht geschafft«, meinte er.
»Das hört man gerne, aber du täuschst dich. Dafür hätte Doreen schon gesorgt. Also, bis dann … ich muss mich noch umziehen. Ich treffe mich dort unten mit meiner Freundin zum Essen – in einer Stunde.« Sie stand auf, zeigte auf den Strandpavillon. Die ersten Gäste fanden sich bereits auf der Terrasse ein.
»Viel Spaß. Aida sagte, deine Freundin sei die Schwester
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