Wege zu einem humanen, selbstbestimmten Sterben
wurde püriert, trotzdem blieb das
Schlucken schwierig. Sie hustete viel und konnte den Schleim aus den Atemwegen immer
schlechter abhusten. Medikamente, um den Schleim flüssiger zu machen, halfen
wenig. Weil sie den Schleim nicht herunterschlucken konnte, bekam sie hin und
wieder Erstickungserscheinungen. Ihr wurde klar, dass diese Abhängigkeit nur
noch zunehmen würde. Die soziale Isolation durch ihr undeutliches Sprechen gab
für sie den Ausschlag, nicht mehr leben zu wollen.
Im Nachhinein glauben ihr Sohn
und ihre Schwiegertochter, dass diese Behinderungen und deren Bedeutung für
Frau G. nur ungenügend mit dem Hausarzt besprochen worden sind. Die
Schwiegertochter berichtete, dass Frau G. die Unterlagen der nvve (Niederländische Vereinigung für
ein freiwilliges Lebensende) bereits bei sich hatte, als sie in das Pflegeheim
aufgenommen wurde. Sie hatte das Ausfüllen und Unterschreiben der Papiere nur
immer wieder hinausgeschoben, bis sie den Zeitpunkt für richtig erachtete, an
dem sie wirklich Abschied vom Leben nehmen wollte. Als sie wiederholt fast an
ihrem Schleim erstickt wäre und daher Angst bekommen hatte, bat sie ihre
Schwiegertochter vorbeizukommen und die nvve -Papiere
fertig zu machen.
Sowohl der Hausarzt als auch
die beiden Angehörigen beurteilten sie als Urteilsfähig und in der Lage, die
Entscheidung nach Abwägung allen Für und Widers zu treffen. Der Hausarzt schätzte
sie nicht als depressiv ein. Sie unterschrieb die Unterlagen der nvve in dem Moment, in dem sie aufgrund
der Probleme mit dem Sprechen, Schlucken und Sabbern die Grenze dessen
überschritten sah, was für sie ein sinnvolles soziales Leben bedeutete. Beim
Gespräch mit dem Hausarzt, bei dem sie ihn um lebensbeendende Maßnahmen bat,
war die Schwiegertochter anwesend. Jetzt, nachdem Frau G. nach einem Jahr den
Antrag unterschrieben hatte, war davon auszugehen, dass der Arzt nicht allzu
lange damit warten würde.
Der Hausarzt weigerte sich
jedoch, weil er sich durch Frau G. unter Druck gesetzt fühlte. Er war davon
beeindruckt, dass Frau G. noch mit 80 Jahren regelmäßig Tennis gespielt hatte.
Er glaubte, dass sie nur deshalb Mühe damit habe, die Behinderungen zu
akzeptieren, weil sie immer in ausgesprochen guter physischer Verfassung
gewesen war. Im Vergleich zu anderen Bewohnern des Pflegeheims hielt er das
unverständliche Sprechen und das Sabbern nicht für außergewöhnlich. Andere
ältere Menschen, die ihren Speichel nicht schlucken konnten und ihn mit einem
Taschentuch auffingen, kamen sehr wohl zu Tisch und spielten Bridge. Wenn er
allein mit ihr sprach, konnte er sie auch gut verstehen. Der Hausarzt sah
deshalb nicht ein, warum die Behinderungen für Frau G. unerträglich sein
sollten. Schließlich spielte bei der Ablehnung ihrer Bitte um Sterbehilfe auch
eine Rolle, dass keine tödliche Krankheit vorlag. ‚Wenn ich in dieser Situation
Sterbehilfe leiste, wo soll ich dann bei anderen Bewohnern des Pflegeheims, die
mich auch darum bitten, die Grenze ziehen?’
Frau G. machte diese Ablehnung
wütend. Am darauf folgenden Wochenende beschloss sie, mit Essen und Trinken
aufzuhören; eine Methode, die sie allerdings für menschenunwürdig hielt. Ihr
Sohn und ihre Schwiegertochter konnten sie nicht mehr davon überzeugen, ihren
Plan zu verschieben. Sie sagte: ‚Ich höre auf, weil der Arzt mir nicht helfen
will. Mein Wille ist stark genug um durchzuhalten.’
Der Verlauf laut Aufzeichnungen
des Pflegepersonals im Dienstbuch:
Das Pflegepersonal notierte
über die Schluckprobleme und das Abhusten des Schleims von Frau G.: ‚Sie isst
und trinkt sehr schlecht, weil sie sich oft verschluckt; einmal lief sie blau
an.’
Tag 1: ‚Frau G. beschließt,
alle Medikamente sowie das Essen und Trinken zu verweigern, darauf hoffend,
schnell zu sterben; heute Nacht trank sie noch ein Glas Wasser.’
Tag 2: ‚Aß und trank nichts,
ließ kein Wasser und klagte über Schmerzen bei der Pflege. Vom Hausarzt bekam
sie Paracetamol-Zäpfchen (500 mg), bis zu sechs Mal täglich. Sie will nicht
mehr aus dem Bett in den Stuhl gehoben werden.’
Tag 3: ‚Weigert sich immer noch
zu essen und zu trinken. Sie sagt, dass sie auf das Eingreifen des Arztes
hofft.’
Tag 4: ‚Sie klagt immer noch
über Schmerzen. Die Paracetamol-Zäpfchen werden auf 1000 mg erhöht.’
Tag 5: Der Hausarzt bittet
einen scen- Arzt 5 um Unterstützung, aber der kann erst nach sechs
Tagen kommen.
Tag 6: ‚Frau G. klagt über
Schmerzen. Beim Wachwerden fragt
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