Wege zu einem humanen, selbstbestimmten Sterben
Nach zwei
Wochen wurde sie deutlich schwächer, aber sie blieb bis zum Tag ihres Todes bei
klarem Verstand. In der letzten Woche nahm sie zwei Mal eine halbe
Schlaftablette, um die Nacht besser zu überstehen. Einige Tage vor ihrem Tod
bekam sie Beklemmungen und Angst, aber das überwandt sie mit einer
Beruhigungstablette. Die Mundpflege gelang mit Hilfe der Kinder gut, und sie
klagte nicht über Durst. Dennoch sagte sie am Ende: ‚Sterben bleibt schwer. Man
muss es ganz und gar selber tun, Papa hilft nicht und Vater und Mutter stehen
dir auch nicht bei.’ Sie starb in der Nacht, während ihr Sohn, der bei ihr
wachte, gerade einen Kaffee aufsetzte. Er hörte sie seufzen und als er zu ihr
kam, war es vorbei. Die Gesamtdauer vom Beginn des Fastens betrug drei Wochen,
während der letzten zehn Tage hatte sie nichts mehr getrunken.
Die Tochter bemerkte dazu: ‚Das
ist eine wertvolle Periode in unserem Leben gewesen, weil wir alle zusammen
noch einmal für sie sorgen konnten, um ihr den Verzicht auf Nahrung und
Flüssigkeit zu erleichtern. Wir kümmerten uns darum, dass Leben im Haus war und
sie Abwechslung hatte, wenn sie wach war. Für ihr und unser Gewissen war es
wichtig, das der Arzt jeden Tag vorbei kam und sich viel Zeit für uns nahm.’
Nachträgliche Bemerkungen: Im Vergleich zu dem zweiten
Beispiel, das wir hier aufführen, ist dieser Sterbeprozess ungewöhnlich ruhig
verlaufen. Die Faktoren, die dazu beigetragen haben, sind:
- Sowohl die Tochter als auch
der Arzt charakterisieren Frau B. als ausgeglichene, starke Persönlichkeit. Sie
wollte die Verantwortung für ihr Sterben selbst übernehmen.
- Sie war gut vorbereitet auf
das, was sie erwarten würde.
- Der Hausarzt kam jeden Tag
vorbei und stellte vorsorglich Schlaf- und Beruhigungstabletten bereit.
Schmerzmittel erwiesen sich als unnötig; einige Schlaftabletten und ein
angstlinderndes Mittel waren ausreichend. Es ist eine aus der palliativen
Pflege bekannte Erfahrung, dass die Behandlung von Schmerz und anderen
Symptomen dann am besten verläuft, wenn der Betroffene die Dosierung der
Schmerzmittel oder anderer lindernder Mittel selbst bestimmt. Das verringert
die Angst, dass man in einem bestimmten Moment unbezwingbarem Elend
ausgeliefert ist.
- Frau B. hörte allmählich mit
dem Essen und Trinken auf und folgte dabei ihrem eigenen Zeitgefühl.
- Die fürsorglichen Kinder und
Enkel haben den Prozess erleichtert, indem sie ihrer (Groß-)Mutter ihre
Aufmerksamkeit schenkten und während der wachen Stunden ihren Geist
beschäftigten. Trotzdem betonte Frau B. am Ende, dass man ‚es’ selbst tun
müsse, und das sei schwer.
2.8.2 Frau G.
Der Sohn, die Schwiegertochter
und der Arzt haben vom Sterben von Frau G. berichtet.
Soziale Lage und
Persönlichkeit: Frau G. (83) war
seit 20 Jahren Witwe. Mit ihrem einzigen Sohn und ihrer Schwiegertochter, die
sie im Pflegeheim mehrmals in der Woche besuchten, stand sie in gutem Kontakt.
Sie war außergewöhnlich vital und stand bis zu ihrem 81. Lebensjahr noch jede
Woche auf dem Tennisplatz, machte lange Spaziergänge mit einer Freundin und
hatte einen festen Kreis, mit dem sie Bridge spielte. Ihr Leben lang legte Frau
G. großen Wert auf ein sehr gepflegtes Äußeres und auf das Einhalten der
Etikette. Dabei ging sie ihren eigenen Weg. Ihr Sohn beschrieb sie als
willensstark, aber auch als dickköpfig.
Medizinische Lage und
Entscheidungsfindung: Zwei Jahre vor ihrem Tod stellten Ärzte fest, dass in ihrer weißen Hirnsubstanz
Blutungen aufgetreten waren, die Parkinson-ähnliche Symptome zur Folge hatten:
Zunehmende Probleme beim Schlucken und Sprechen, ein starkes Zittern und ein
spastischer linker Arm. Die Behandlung mit dem Mittel Madopar linderte die
Beschwerden nur vorübergehend.
Nur mit größtem Widerwillen war
Frau G. ein Jahr vor ihrem Tod aus ihrer eigenen Wohnung in ein Pflegeheim
gezogen, weil sie durch ihre Parkinson-Erkrankung keine Treppen mehr steigen
konnte. Im Pflegeheim knüpfte sie anfänglich neue soziale Kontakte. Aber je
mehr die Schluckstörungen Zunahmen, desto mehr begann sie zu sabbern. Sie
wollte deshalb nicht mehr zu den Mahlzeiten oder am Bridge-Tisch erscheinen,
denn ‚wie sieht das aus!’ Es wurde immer schwieriger, sie zu verstehen,
insbesondere in Gesellschaft. Dadurch war sie nach kurzer Zeit sozial isoliert.
Als sie ihre Sterbewunsch
äußerte, konnte sie bereits nicht mehr allein aufstehen und wurde mit einem
Lifter aus dem Bett gehoben. Ihr Essen
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