Wehe Dem, Der Boeses Tut
krampfte sich zusammen. Jemand, mit dem sie verwandt war.
»Kann sein.«
»Oder einer von den Polidoris«, sagte Adria ohne große Überzeugung. Sicher, Anthony Polidori konnte hinter der Entführung stecken, und sie war überzeugt davon, dass er sie beschatten ließ, aber genauso gut konnten die Danvers-Erben in die Tat verwickelt sein. Jason war machthungrig, Trisha brannte darauf, ihrem Vater die Verletzungen heimzuzahlen. Nelson wäre damals noch zu jung gewesen, erst vierzehn Jahre alt, und auch Zach war noch nicht erwachsen.
Zach, der inzwischen ziemlich sicher war, dass niemand ihnen folgte, fuhr nach Chinatown und stellte den Wagen in einer Gasse ab. Das Restaurant war klein, laut, schummrig beleuchtet und gedrängt voll. Geschirr klapperte, Menschen redeten hektisch in fremder Sprache, hinter der Durchreiche zur Küche brutzelte Fett. Sie bekamen einen Zweiertisch in der Nähe der Küche zugewiesen und Adria protestierte nicht. Sie verstand kaum etwas von dem, was um sie herum geredet wurde, denn die meisten sprachen offenbar Chinesisch. Doch in gewisser Weise war sie froh über das Gedränge. Es machte manches einfacher. Mit Zach allein zu sein war schwierig.
Sie aßen scharf-saure Suppe, würziges Hühnchen und ein Shrimps-Gericht, das so scharf war, dass ihr die Tränen kamen. Dazu tranken sie chinesisches Bier. Doch sie schmeckte kaum, was sie verzehrte – sie konnte Ginny Slades aschfahles Gesicht, die blicklosen Augen und das Blut in dem kleinen Badezimmer nicht vergessen.
Nach dem Essen tranken sie dünnen Tee mit blumigem Aroma, das Adria in die Nase stieg und eine Erinnerung heraufbeschwor – grausam und hässlich. In der Nacht des Überfalls auf sie hatte sie etwas Ähnliches gerochen, einen leichten Hauch von Jasmin. Sie erstarrte. Die Tasse fiel ihr aus der Hand, der Tee ergoss sich über die polierte Tischplatte und tropfte heiß auf ihre Schenkel.
»Adria?« Zach sah sie fragend an.
In diesem Augenblick erkannte sie, wer sie angegriffen hatte.
»Was ist los?«, wollte Zach wissen.
»Eine ganze Menge.« Sie fing an, den vergossenen Tee mit ihrer Serviette aufzuwischen, vermied es dabei, Zach anzusehen, und sagte sich immer wieder, sie müsse sich täuschen. Doch in ihrem tiefsten Innern wusste sie es. Sie wusste es. Zach ergriff ihre Hand, in der sie die Serviette hielt, und drückte sie.
»Nun?«
»Ich glaube, ich weiß, wer mich im Motel überfallen hat«, sagte sie mit unsicherer Stimme und wünschte, es möge nicht so sein.
»Was?«
»Wer mir die Drohbriefe geschickt hat.«
»Wie das?«
»Dieser Tee.« Sie deutete auf die Tassen. »Es ist Jasmintee. Denselben Duft hatte auch die Person an sich, die mich überfallen hat.«
Zach schnupperte an seiner Tasse, dann schob er sie so heftig von sich, dass noch mehr heißer Tee auf den Tisch schwappte. »Eunice«, knirschte er und kniff die Augen zusammen.
Adria nickte stumm, unfähig, die Worte auszusprechen, die zwischen ihnen im Raum standen: Zacharys Mutter hatte Ginny Slade ermordet.
»Ich muss mit dir reden. Allein.« Eunice hatte die Nachricht auf Zachs Handy hinterlassen. »Ich muss dir etwas Wichtiges mitteilen, und du erfährst die Wahrheit nur, wenn du mit mir redest. Bitte, Zach, ich weiß, dass du mich schrecklicher Dinge verdächtigst, aber es stimmt einfach nicht. Lass mich erklären, was wirklich geschehen ist. Du bist der Einzige, dem ich trauen kann.« Sie legte den Hörer auf die Gabel des Wandapparats in ihrer Küche und zweifelte nicht eine Sekunde lang daran, dass Zach kommen würde.
Schon bald.
Als sie am Küchentisch saß und den Zeitungsbericht über den Mord an Ginny Slade las, wusste Eunice, dass es sich nur noch um Stunden handeln konnte, bis Zach kam und sie der Tat bezichtigte.
Er würde ihr nicht glauben, wenn sie es abstritt.
Stirnrunzelnd blickte sie aus dem Fenster auf das grüne Wasser des Lake Oswego, als könne sie dort eine Lösung für ihre Probleme finden. Eunice hatte nur selten im Leben einen Kampf aufgegeben und sie würde es auch jetzt nicht tun.
Aber wer hatte das unscheinbare kleine Kindermädchen umgebracht? Es musste jemand sein, der in Verbindung mit der Familie stand, womöglich sogar ein Familienmitglied.
Eines ihrer Kinder?
Jemand, der klug genug war zu wissen, dass Zach und vermutlich auch die Polizei sie verdächtigen würden. Vielleicht jemand, der wusste, dass Kats Tod kein Selbstmord gewesen war, sondern dass Eunice eine Hauptrolle bei der Beseitigung der zweiten
Weitere Kostenlose Bücher