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Wehe Dem, Der Boeses Tut

Wehe Dem, Der Boeses Tut

Titel: Wehe Dem, Der Boeses Tut Kostenlos Bücher Online Lesen
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seinen Platz am Fenster wieder ein. Die Spannung im Raum war schier mit Händen zu greifen, doch er amüsierte sich über das verkrampfte Lächeln seiner drei Geschwister. Adria war ihnen allen unter die Haut gegangen. Sie hatten Angst. Zum ersten Mal seit fast zwanzig Jahren.
    Als er eine Stimme hörte, wandte er sich dem Fernsehbildschirm zu, auf dem ein abgezehrter, kahlköpfiger Mann in einem Krankenbett lag und mit offensichtlicher Mühe redete.
    »Ich hätte es dir wohl früher sagen sollen, aber aus Gründen, auf die ich später noch zu sprechen komme – aus egoistischen Gründen, Adria –, habe ich dir die Geschichte deiner Geburt vorenthalten. Als du mich danach fragtest, kannte ich die Wahrheit noch nicht, das schwöre ich bei Gott, und später … nun ja, da habe ich es einfach nicht fertiggebracht, es dir zu sagen.
    Deine Mutter, möge sie in Frieden ruhen, und ich, wir haben uns immer Kinder gewünscht, aber wie du weißt, konnte Sharon keine bekommen. Das hat sie sehr gequält, und sie glaubte, Gott wolle sie damit strafen, auch wenn mir nicht klar ist, wofür. Als wir dich dann fanden … als du zu uns kamst, war es die Gnade, um die sie immer gebetet hatte.
    Wir haben dich mit der Hilfe meines Bruders Ezra adoptiert. Du erinnerst dich wahrscheinlich kaum noch an ihn, denn er ist 1977 gestorben. Jedenfalls war er es, der dich zu uns gebracht hat. Er war Anwalt, hatte seine Kanzlei in Bozeman. Er wusste, dass deine Mutter und ich uns sehnlichst Kinder wünschten. Wir waren schon in den Fünfzigern und hatten Schulden, die uns und der Farm das Genick zu brechen drohten. Deshalb hätten wir auf legalem Weg kein Adoptivkind bekommen.«
    Der Mann hielt inne, trank einen Schluck Wasser aus einem Glas auf dem Nachttisch, räusperte sich und blickte wieder in die Kamera.
    »Ezra erklärte mir, dass eine Tochter von entfernten Verwandten in Schwierigkeiten steckte. Das Mädchen, Virginia Watson, war geschieden und besaß keinen Penny, und sie hatte eine fünfjährige Tochter, die sie nicht ernähren konnte. Ihr größter Wunsch war, dass Adria, ihr kleines Mädchen, in einer liebevollen Familie untergebracht wurde. Ezra war Junggeselle. Er wollte kein Kind, wusste aber, dass Sharon und ich alles für ein Kind tun würden.
    Und das taten wir. Die Adoption erfolgte heimlich und die Papiere … nun ja, es gab nicht viele, glaub mir. Wir wollten die Behörden nicht einschalten, verstehst du? Wie auch immer, Virginia kam und brachte dich, und von dem Tag an haben wir dich als unsere Tochter angesehen.«
    Er legte eine Pause ein. Die nächsten Worte fielen ihm sichtlich schwer. »Wir hatten allerdings den Verdacht, dass nicht alles mit rechten Dingen zugegangen war, aber was machte das schon? Deine Mom war zum ersten Mal seit Jahren wieder glücklich, und ich hatte schließlich keine Ahnung, wer du wirklich warst. Ich sagte mir, jemand anders wollte dich nicht, wir jedoch wollten dich, und das genügte mir.
    Erst Jahre später, nach Sharons Tod, begann es mir zu dämmern. Ich schwöre, bis zu jenem Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung, dass irgendwer dich vermissen könnte. Himmel, Adria, ehrlich gesagt: Selbst wenn ich es gewusst hätte, ich weiß nicht, ob ich dich wieder hätte hergeben können. Aber kurzum: Einmal räumte ich alte Zeitungen aus der Scheune und entdeckte in einer davon zufällig die Geschichte von der Entführung der kleinen Danvers. Die Polizei fahndete nach einem Kindermädchen, einer gewissen Ginny Slade. Der Name sagte mir nichts. Aber etwa zwei Wochen später setzte ich mich in meinen Sessel am Kamin, um ein wenig in der Bibel zu lesen, schlug zufällig die Seite mit dem Familienstammbaum auf, und da sah ich den Namen: Virginia Watson Slade. Dem Stammbaum nach war Ginny Watson einmal mit Bobby Slade aus Memphis verheiratet gewesen.«
    Er fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. »Ich bin nicht dumm, ich kann zwei und zwei zusammenzählen. Es sah ganz danach aus, als könntest du die verschollene kleine Danvers sein. Um ganz sicherzugehen, habe ich versucht, Kontakt zu Virginia aufzunehmen, doch seit Jahren hatte niemand mehr von ihr gehört. Seit dem Tag, als sie dich zu uns gebracht hatte, schien sie wie vom Erdboden verschwunden. Keine Telefonate, keine Briefe, keine Adresse. Ihre Eltern wussten nicht, ob sie überhaupt noch lebte, und sie hatten auch keine Ahnung, wo Bobby Slade steckte. Ich war, so ungern ich es zugebe, erleichtert, denn ich wollte dich nicht verlieren.«

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