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Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Titel: Wehe Dem, Der Gnade Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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nicht aus wie ein Mann daheim in seinem Wohnzimmer, sondern eher wie ein Schauspieler, der eine solche Szene gerade spielte.
    »Gut«, begann Perkins und zupfte die gestärkten Hemdaufschläge zurecht. »Was ist denn nun mit Ana?«
    »Nach unserem Wissensstand war sie eine Ihrer Patientinnen«, sagte Butts. Das war eine oft angewendete Befragungstechnik. Man versuchte, so viele Informationen wie möglich zu erhalten, ohne selbst welche preiszugeben.
    »Sie sagen, Ana war eine meiner Patientinnen«, stellte Perkins fest. »Ist ihr etwas zugestoßen?«
    »Gab es in ihrer Therapie bei Ihnen einen Hinweis darauf, dass sie vielleicht selbstmordgefährdet ist?«, fragte Butts. Auch das entsprach der üblichen Vorgehensweise. Man gab einem potenziellen Verdächtigen keinerlei Hinweise, außer es war absolut notwendig.
    Perkins lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Ich fürchte, das fällt unter meine Schweigepflicht«, sagte er knapp. »Tatsächlich darf ich Ihnen nicht einmal bestätigen, dass Miss Watkins meine Patientin war … ist, bis Sie mir sagen, was eigentlich genau vorgeht.«
    Butts schaute hinüber zu Lee, der ruhig sagte: »Dr. Perkins, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ana Watkins gestern tot aufgefunden wurde.«
    Perkins sprang auf, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen. »Lieber Himmel!«, rief er und rang die Hände. »Oh Gott, das arme Mädchen! Was ist denn mit ihr geschehen?«
    »Sie ist ertrunken«, erklärte Butts.
    Perkins starrte ihn an, schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen und lief dann vor dem Kamin auf und ab. »Oh Gott, oh Gott, oh Gott«, murmelte er dabei unablässig. Lee kam es wieder so vor, als wäre das alles einstudiert.
    »Dr. Perkins«, sagte Butts. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würden wir Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.«
    »Selbstverständlich«, sagte Perkins. »Ich werde alles, wirklich alles tun, um Ihnen zu helfen.«
    »Gut, gut«, sagte Butts und schrieb etwas in das kleine Notizbuch, das er immer mit sich herumtrug. Lee wusste, dass der Detective manchmal nur deshalb etwas notierte, um den Verhörten einzuschüchtern. »Hey, ist das eine Gaslampe?«, fragte Butts unvermittelt und zeigte auf eine altmodische Lampe im Flur.
    »Ja«, bestätigte Perkins verwirrt. »Aber um Ihre Frage von vorhin zu beantworten. Nein, Ana hat nie suizidale Tendenzen gezeigt – nicht im Mindesten. Tatsächlich hatte ich noch nie einen Patienten, der so gern gelebt hat. Sie hatte alles, was man sich wünschen kann, und machte große Fortschritte in der Therapie …« Er unterbrach sich. »Wie … ich meine, glauben Sie wirklich, Ana hat sich umgebracht?«
    »Sie ist gestern im Harlem River entdeckt worden«, antwortete Butts. »Es gibt Anzeichen für einen Mord.«
    Perkins blieb abrupt stehen und starrte Lee und Butts erschrocken an. »Sie glauben doch sicher nicht …«
    »Nein, nein, keineswegs«, versicherte Butts. »Wir befragen nur jeden, der in engerem Kontakt zu Ana Watkins gestanden hat, damit wir die Puzzleteile langsam zusammensetzen können.«
    »Lieber Gott«, sagte Dr. Perkins und wirkte eingeschüchtert. Falls er weiß, wer der Täter ist, hat er vielleicht Angst vor ihm , überlegte Lee.
    »Miss Watkins hatte das Gefühl, verfolgt zu werden«, sagte Butts. »Haben Sie eine Vermutung, wer sie verfolgt hat?«
    Perkins legte einen Finger an die Lippen und dachte nach. »Jetzt kann ich es wohl sagen, sie ist ja tot. In ihrer Therapie gab es kürzlich einen echten Durchbruch. Ana erinnerte sich wieder daran, dass sie als Kind missbraucht wurde.«
    »Ach?«, fragte Butts in einem Ton, der andeutete, dass er darüber bereits informiert war.
    »Ja«, bestätigte Dr. Perkins, dem Butts’ Sarkasmus völlig entging. »Sie hatte mit vielen persönlichen Problemen zu kämpfen, bis sie sich schließlich unter Hypnose wieder an einen lange verdrängten Missbrauch in ihrer Kindheit erinnerte.«
    Butts sah Lee an, der sich bemühte, keine Miene zu verziehen. Er wollte Perkins nicht verprellen – sofern der ihnen denn wirklich die Wahrheit sagte. Allerdings vermutete Lee, dass Perkins leicht zu durchschauen war, wenn er log.
    »Und wer hat sie missbraucht?«, wollte Butts wissen.
    Perkins drehte den Siegelring an seinem kleinen Finger hin und her. »Zu meinem Bedauern kann ich Ihnen das leider nicht sagen. Wir waren in der Therapie noch nicht so weit, dass sie tatsächlich das Gesicht des Täters hätte sehen können.«
    »Nur damit ich das alles

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