Wehe Dem, Der Gnade Sucht
also noch?«, fragte Butts. »An die Arbeit!«
Nachdem die drei weg waren, saß Chuck kurz allein im Büro, als es klopfte. Ruggles schaute ins Zimmer.
»Verzeihung, Sir.«
»Ja?«
»Ihre Frau ist am Telefon.«
»Danke, Ruggles.«
Der Sergeant räusperte sich. »Ich … also, ich wollte gern wissen …« Er blinzelte unsicher.
»Was denn, Ruggles?«
»Also, es geht um Detective Krieger.«
»Ja?«
»Wissen Sie zufällig … ob sie … na ja …«
»Ob sie verheiratet ist?«
»Das geht mich natürlich eigentlich nichts an«, fügte Ruggles schnell hinzu und machte ein Gesicht, als stünde er vor einem Erschießungskommando.
»Nein, ist sie nicht.«
»Ah, danke.« Ruggles schluckte schwer und holte tief Luft.
»Mit der werden Sie es nicht einfach haben, Ruggles. Ich würde das lieber lassen.«
»Ja, da haben Sie bestimmt recht.«
Doch Chuck konnte sehen, dass es um seinen Sergeant geschehen war.
Ruggles strahlte übers ganze Gesicht.
»Wenn Sie nichts mehr für mich haben, gehe ich jetzt, Sir.«
»Dann bis morgen, Ruggles.«
»Schönen Abend, Sir.«
KAPITEL 24
Lee hatte Kathy versprochen, dass er mit ihr zu einem Philosophischen Abend gehen würde, einer losen monatlichen Veranstaltung, bei der Interessierte über verschiedene philosophische Themen diskutierten. In Europa, besonders in Frankreich, gab es wohl viele solcher Gruppen, und Kathy nahm regelmäßig am Philosophischen Abend in Philadelphia teil. Als sie feststellte, dass auch einer in New York und noch dazu ganz in Lees Nähe abgehalten wurde, wollte sie unbedingt mit ihm dorthin, obwohl sie gleich anschließend wieder zurück nach Philadelphia musste. Lee hätte lieber einen Abend zu zweit mit ihr verbracht, aber er fügte sich ihrem Wunsch, weil er wusste, dass sie solche Diskussionen liebte.
Der Philosophische Freitag fand im Hinterzimmer des La Poème statt, eines französisch-korsischen Restaurants drei Straßen entfernt von Lees Wohnung.
Der Leiter der Diskussionsrunde war ein charismatischer Mann mit sanfter Stimme namens Bernard Elias, der am Baruch College Philosophie unterrichtete.
»Heute sind wirklich viele gekommen«, stellte er fest und sah sich zufrieden um. »Und ich sehe ein paar neue Gesichter.«
Lee fürchtete schon, dass er sich gleich würde vorstellen müssen, aber zu seiner Erleichterung sprach Elias weiter. »Schön, unser heutiges Thema hat Jonathan vorgeschlagen.« Er nickte einem jungen Mann mit runder Brille zu. »Daher wird er uns eine kurze Einführung geben.«
Jonathan nahm die Brille ab und putzte sie. »Ich interessiere mich schon lange für den Zusammenhang zwischen Kultur und Sprache«, sagte er dann. »So haben die Japaner zum Beispiel kein Wort für Nein. Nur komplizierte und ausgesprochen höfliche Umschreibungsformeln. Das gibt einen Hinweis darauf, wie diese Kultur funktioniert.«
Mehrere der Anwesenden nickten und lächelten Jonathan zu. Er war jünger als die meisten von ihnen und schien so etwas wie das Maskottchen der Gruppe zu sein.
»Daher würde ich heute gern diskutieren, was es über unsere Kultur aussagt, dass der Begriff des Bösen in unserer Sprache so viel Gewicht hat. Insbesondere angesichts des momentanen politischen Klimas.«
»Ein sehr zeitgemäßes Thema, Jonathan«, sagte Elias. »Würde jemand gern etwas sagen?«
Man diskutierte die Bedeutung des Wortes in Hinblick auf Religion und Sünde und stellte die Frage, ob das Konzept des Bösen außerhalb eines religiösen Kontextes überhaupt existierte. Man kam zu dem Schluss, dass dies für die meisten Kulturen wohl der Fall sei.
Als Nächstes wandte man sich dem Ursprung des Bösen zu und analysierte, ob etwas Vergleichbares im Tierreich existierte.
»Mir kommt es so vor, als ob Tiere kein moralisches Bewusstsein entwickeln«, sagte eine chic angezogene Französin. »Daher kann man nichts, was sie tun, als böse bezeichnen, ganz gleich wie grausam es auch sein mag.«
»Gut«, sagte Elias. »Wäre es dann also so, dass erst durch die gesellschaftliche Definition des Begriffs etwas oder jemand als böse bezeichnet werden kann?«
Elias sah Lee und Kathy an. Kathy hatte bereits ein paarmal etwas gesagt, Lee hingegen bisher geschwiegen.
»Was meinen Sie, Mr …«
»Campbell. Nennen Sie mich einfach Lee.«
»Schön, Lee, was würden Sie also sagen?«
»In meinem Beruf habe ich mit Kriminellen zu tun …«
»Oh, wie interessant«, sagte die Französin und beugte sich vor. »Was ist denn der Unterschied zwischen einem
Weitere Kostenlose Bücher