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Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Titel: Wehe Dem, Der Gnade Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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Frage erst herausfinden würde, wenn es zu spät war.
    Lee ging geistig noch einmal durch, was Charlotte ihm bei ihrem nächtlichen Besuch enthüllt hatte. Es war vielleicht merkwürdig, aber das alles überraschte ihn nicht wirklich. Martin Perkins war so seltsam, dass es ein Wunder gewesen wäre, wenn er nicht irgendeine Leiche im Keller und keine pathologische Störung gehabt hätte. Die arme Charlotte war nicht zu beneiden. Lee war sich nicht sicher, ob Inzest im gegenseitigen Einvernehmen bei Erwachsenen in New Jersey strafbar war, gruselig war es auf alle Fälle.
    Als Lee wieder bei seiner Wohnung ankam, war er völlig durchnässt, seine Hände zitterten – aber immerhin: Er war nicht mehr depressiv. Tatsächlich schäumte er fast über vor Glück, weil sich plötzlich so viele schwindelerregende Möglichkeiten vor ihm auftaten. Er wusste, dass das nur die Folge des chemischen Feuerwerks in seinem Gehirn war, aber die Erleichterung war so groß, dass er vor Freude beinahe geweint hätte. Kathy hatte mit ihm Schluss gemacht, der Mörder war weiterhin auf freiem Fuß, Krieger immer noch vermisst, und dennoch sah die Zukunft für sein Endorphin überschwemmtes Hirn auf einmal rosig aus und schien unendliche Verheißungen bereitzuhalten.
    Lee schaute auf den Anrufbeantworter auf dem Schreibtisch, dessen Blinken ihn wie ein böse blinzelndes, rotes Auge anstarrte. Schnell zog Lee die Windjacke aus, durchquerte mit vier Schritten den Raum und drückte den roten Knopf.
    Die gepresste, metallische Stimme jagte Lee einen Schauer über den Rücken.
    »Wann lässt du endlich eine Fangschaltung für diesen Anschluss legen? Gut, stimmt, das würde dir auch nichts nützen. Also, um es kurz zu machen: Was ist mit dem roten Kleid?«
    Während das Band zurückspulte, starrte Lee immer noch den Anrufbeantworter an. Er bemerkte gar nicht, wie seine durchnässten Sachen auf den teuren Teppich tropften, den ihm seine Mutter geschenkt hatte.

KAPITEL 56
    Ohne die nassen Sachen auszuziehen, warf Lee sich auf die Couch, starrte an die Decke und grübelte. Als er das nicht mehr ertragen konnte, stand er auf und ging duschen. Dennoch fühlte er sich noch immer nicht sauber; die Stimme auf seinem Anrufbeantworter hatte ihn beschmutzt. Er ging zum Badezimmerschrank, brach eine Beruhigungstablette in zwei Teile und schluckte eine Hälfte. Dann, nur um auf der sicheren Seite zu sein, nahm er auch noch die andere.
    Anschließend legte Lee sich mit einem Kissen auf dem Gesicht zurück auf die Couch und spürte, wie sich angenehme Benommenheit in seinem ganzen Körper ausbreitete. Lee ergab sich diesem Gefühl nur allzu gern und fiel in einen tiefen Schlaf.
    Lee erwachte, weil es laut und anhaltend klopfte. Schnell schwang er sich von der Couch und war gerade auf dem Weg zur Tür, als er eine tiefe Stimme hörte.
    »Ich bin’s.«
    Er machte auf. Im Flur stand Diesel, der in seinem Cape aus Wachstuch wie ein großer schwarzer Vogel wirkte. Begleitet wurde er von Butts. Der Detective sah aus wie ein aufgetauchtes Walross. Sein nasses Haar klebte ihm am Kopf, wodurch seine ohnehin schon großen Ohren noch gewaltiger hervorragten; von seiner fleischigen Nase tröpfelte Regenwasser auf die Fußmatte.
    Lee starrte das ungleiche Paar an. »Was macht ihr denn hier? Und dann auch noch zusammen?«
    »Lassen Sie uns nun rein, oder was?«, wollte Butts wissen.
    Lee bat die beiden Männer herein und gab ihnen zwei Handtücher, damit sie sich abtrocknen konnten. Beim Blick aus dem Fenster stellte Lee fest, dass es wohl Morgen war, also hatte er wenigstens die halbe Nacht durchgeschlafen. Der Tag war so trübe, dass er nicht abschätzen konnte, wie spät es sein mochte.
    »Was sagt die Uhr?«, fragte er Butts.
    »Nach zehn«, antwortete der Detective und rubbelte mit dem Handtuch schnell durch sein Resthaar.
    »Was ist passiert? Und was machst du hier, Diesel?«
    Ohne zu antworten gab Butts ihm sein Handy. Helfen Sie mir , stand in einer SMS, die von Lees Nummer aus verschickt worden war.
    »Ich habe zurückgerufen, wurde aber gleich zur Mailbox weitergeleitet«, erklärte Butts. »Dann habe ich es hier auf dem Festnetz probiert, und als da niemand ranging, bin ich auf die Idee gekommen, Diesel anzurufen, weil er Sie doch gut kennt, dachte ich. Der konnte Sie aber auch nicht erreichen, also habe ich mich in den Wagen gesetzt und bin hergefahren.« Dass er sich Sorgen gemacht hatte, behielt Butts für sich.
    »Und auf dem Weg hat er mich aufgesammelt«,

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