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Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Titel: Wehe Dem, Der Gnade Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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Lee, als er die Leiche auf dem Boden erkannte. Es war nicht Charlotte Perkins – so verstörend der Anblick auch sein mochte, der sich ihnen bot. Doch Lees Erleichterung wich sofort Scham und Abscheu – Scham weil er erleichtert gewesen war, und Abscheu über das, was hier geschehen sein musste. Obwohl sich seine schlimmsten Befürchtungen nicht bewahrheitet hatten, war der Tatort ein Schlachtfeld.
    Martin Perkins lag auf dem Rücken, Arme und Beine grotesk verdreht. Sein Schädel war offensichtlich mit einem stumpfen Gegenstand zertrümmert worden. Obwohl sein Gesicht blutig und entstellt war, hatte man ihm nicht die Augen entfernt, und auch ein Abschiedsbrief fehlte. Dafür verriet der Tatort eine schier ungebremste Raserei des Täters. Der teuer aussehende Teppich, auf dem die Leiche lag, war vollkommen blutdurchtränkt – zweifellos hätte allein der Blutverlust gereicht, um Perkins zu töten. Es war schwer zu sagen, wie oft der Täter auf ihn eingeschlagen hatte, doch der Mann musste mit einer gleichermaßen unnötigen und unglaublichen Brutalität vorgegangen sein.
    Auf Perkins’ Körper lagen Ranken, Äste und Blätter verteilt, manche waren so arrangiert, als würden sie ihm aus Nase und Mund wachsen.
    »Okay, Doc«, sagte Butts und sah Lee an. »Was soll das mit dem Grünzeug? Was hat das zu bedeuten?«
    Lee hatte schon begriffen.
    »Der Grüne Mann«, sagte Lee. »Sein Mörder verhöhnt die Figur, indem er Perkins nach seiner Ermordung zum Grünen Mann macht.«
    »Sieht ganz so aus«, sagte Butts, als er sich herunterbeugte, um den Körper näher zu untersuchen. »Ich glaube, da haben Sie recht.«
    Lee war nicht auf den Geruch vorbereitet gewesen. Der Geruch von Blut – von so viel Blut – war mit nichts zu vergleichen, was er kannte. Lee packte Abscheu und ein Gefühl von Gefahr, das wohl in den Genen verankert und uralt war. Die frühen Hominiden mussten in heilloser Flucht davongerannt sein, wenn sie diesen Geruch witterten. Er bedeutete, dass der Tod ganz nahe war. Aber Lee konnte jetzt nicht fliehen, so gern er es auch getan hätte.
    »Mein Gott«, sagte Anderson leise, und Lee wurde klar, dass dies der erste Mordfall des Kollegen sein musste. Hilfe suchend sah Lee hinüber zu Butts, und der erfahrene Detective übernahm sogleich die Initiative. Er bedeutete allen mit der Hand dem Zimmer fernzubleiben, dann steckte er seine Pistole zurück ins Holster und fuhr fort, den Tatort zu inspizieren.
    Butts war ganz in seinem Element. Voller Bewunderung sah Lee, wie er den Körper untersuchte, ohne etwas zu berühren, und wie geschickt er sich im Raum bewegte, ohne dass seine Schuhe blutig oder irgendwelche Beweisstücke verändert wurden.
    Nach einer Weile ging er hinaus zu den anderen dreien im Flur.
    »Keine Spur von der Mordwaffe«, verkündete Butts. »Aber so wie die Schläge ausgeführt wurden, tippe ich auf irgendeinen Knüppel. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass Perkins sich gewehrt hat – der Angriff kam wohl völlig überraschend. Gibt es hier in New Jersey eine Einheit für Spurensicherung?«, wandte er sich an Anderson.
    »Äh, ja, in Trenton. Das ist die nächste Stadt«, antwortete der Officer, offensichtlich immer noch mitgenommen.
    »Dann schlage ich vor, dass Sie dort schleunigst anrufen«, sagte Butts. Er betrachtete Perkins’ Leiche und schüttelte den Kopf.
    Lee folgte Butts’ Blick. Falls es jemals einen perfekten Ausdruck blutrünstiger Raserei gegeben hatte, dann diesen Mord. Wer immer Martin Perkins umgebracht hatte, verlor gerade ganz gefährlich die Kontrolle.

KAPITEL 57
    »Was machen wir jetzt?«, wollte Diesel wissen. Er, Lee und Butts blickten auf den Leichnam zu ihren Füßen. Anderson rief in seinem Revier an, von wo aus die Mordkommission in Trenton verständigt wurde. Butts hatte natürlich auch schon Chuck Morton informiert, aber der konnte von seinem New Yorker Büro aus derzeit wenig tun.
    »Ich gehe davon aus, dass der Mörder von Martin Perkins jetzt Charlotte Perkins in seiner Gewalt hat«, erklärte Lee.
    »Es sei denn, sie hat ihren Bruder umgebracht«, entgegnete Butts.
    Lee musste zugeben, dass dieser Gedanke nicht komplett abwegig war. Ganz offensichtlich hegte Charlotte großen Groll gegen ihren Bruder, und sie hatte auch allen Grund dazu – es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass ein Opfer familiären Missbrauchs durchdrehte und seinen Peiniger umbrachte. Lee war sich nicht ganz im Klaren darüber, ob man die Beziehung der Geschwister Perkins

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