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Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Titel: Wehe Dem, Der Gnade Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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auch im juristischen Sinn als Missbrauch bezeichnen konnte, aber das, was Charlotte ihm darüber erzählt hatte, reichte Lee voll und ganz. Und jetzt war Perkins tot … Geschieht dir recht, dachte er mitleidlos. Nur wo war Charlotte jetzt? Und das noch größere Rätsel: Wo steckte Krieger, falls sie überhaupt noch lebte?
    »Sie glauben, das hier könnte eine – eine Frau gewesen sein?«, fragte Anderson so naiv, dass es einem schon fast das Herz brach.
    Butts sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Jungchen, wenn Sie erst mal so lange Polizist gewesen sind wie ich, dann haben Sie mitbekommen, dass jeder jedem alles antun kann.«
    Andersons Augen weiteten sich. »Aber – ich meine, müsste man nicht sehr viel Kraft aufwenden, um mit solcher Wucht zuzuschlagen?«
    »Klar«, entgegnete Butts. »Sie wären überrascht, wie viel Kraft ein Mensch entwickeln kann, wenn er nur wütend genug ist.«
    »Ich glaube nicht, dass es Charlotte war«, sagte Lee und betrachtete die Leiche. »Sie war nicht wütend – sie hatte Angst.«
    »Okay«, brummte Butts. »Ich würde trotzdem gerne wissen, wo sie steckt.«
    »Geht mir genauso«, antwortete Lee. »Wir sollten uns jetzt die Patientenakten ansehen. Da Perkins ja tot ist – brauchen wir keinen Durchsuchungsbefehl mehr«, fügte er hinzu, als er Andersons zweifelnden Blick bemerkte.
    »Ja, sicher, ich glaube Sie haben recht«, sagte der junge Polizist eifrig nickend. »Was glauben Sie, wo wir die finden?«
    »Im Büro«, erklärte Lee.
    »Also ab ins Büro«, entschied Butts und übernahm die Führung, als sie die Treppe hinunter zum Therapiezimmer im hinteren Teil des Hauses gingen.
    Es lag direkt neben der riesigen Küche. Im Vergleich zu ihr war es winzig und hatte wohl früher einmal als Zimmer für das Dienstmädchen gedient. Die Einrichtung war ebenso elegant wie im Rest des Hauses, und es herrschte auch hier dieselbe penible Ordnung. Die Bücher im Regal waren genau nach Größe sortiert, der Schreibtisch war makellos aufgeräumt. In Lees Büro herrschte immer ein ziemliches Durcheinander aus nicht zueinander passenden Füllfederhaltern und Kugelschreibern, Bleistiften unterschiedlicher Größe und Akten mit variierendem Bearbeitungsstand. Dazu eingetrocknete Textmarker und Büroklammern. Auf Perkins’ Schreibtisch hingegen standen zwei Zinnkrüge (zweifellos antik), einer für Füllfederhalter und einer für Bleistifte. Alle Bleistifte hatten exakt dieselbe Länge und waren perfekt angespitzt. Es sah aus wie ein Köcher voller Pfeile, die in Richtung Decke stachen.
    »Himmelherrgott!«, entfuhr es Butts, als er sich umblickte. »War der Kerl analfixiert oder was?«
    »Würde mich nicht wundern, wenn der seine Unterwäsche alphabetisch sortiert hat«, stellte Diesel fest, und Anderson kicherte nervös.
    »Ja, sieht ganz so aus, als hätte Perkins eine obsessive Verhaltensstörung gehabt«, sagte Lee.
    »Nichts anfassen«, ermahnte Butts Anderson, als der mit einem Finger über die Tischfläche strich und offensichtlich überrascht war, weil er nicht das kleinste Staubkorn fand.
    Der junge Polizist zuckte zusammen und kicherte wieder unsicher. Er zog ein Paar Gummihandschuhe aus seiner Uniformtasche.
    »Haben Sie noch mehr davon?«, wollte Butts wissen.
    »Äh, nein – tut mir leid«, bedauerte Anderson.
    »Gehen Sie in die Küche und schauen Sie nach, ob Sie noch mehr Gummihandschuhe finden können«, bat Butts ihn. »Latexhandschuhe wären am besten, normale Haushaltshandschuhe tun es aber auch.«
    »Glauben Sie, das ist hier notwendig?«, erkundigte sich Lee.
    »Das ganze Haus ist ein Tatort«, gab Butts zurück. »Wir dürfen keine Beweise zerstören, und damit meine ich Fingerabdrücke, Haare und so was alles.« Er wandte sich an Diesel, der an seiner Lippe kaute. »Haben Sie nicht erzählt, dass Ihr Vater Polizist war?«
    »Ja, stimmt«, sagte Diesel und verschränkte die kräftigen Arme vor der Brust.
    »Okay, was halten Sie davon«, begann Butts. »Sie gehen nach draußen und schieben Wache, damit niemand ins Haus kommt. Und wenn die Jungs aus Trenton da sind, können Sie Ihnen schon mal alles erklären, okay?«
    »Sie müssen mich nicht wie einen Zehnjährigen behandeln«, brummte Diesel mit zusammengezogenen Augenbrauen. »Ich warte im Wagen.«
    »Nein, nein, das war wirklich nicht so gemeint. Sie würden uns damit echt helfen«, entgegnete Butts aufrichtig. »Ich will nicht, dass neugierige Nachbarn hier auflaufen, verstehen Sie?«
    »Schon klar«, sagte Diesel,

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