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Wehe wenn der Wind weht

Wehe wenn der Wind weht

Titel: Wehe wenn der Wind weht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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seit sie zum letzten Mal gefahren war, aber sie sagte sich, es sei wie Schwimmen: Wenn man es einmal gelernt hat, vergißt man es nie mehr. Sie startete den Motor, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr langsam auf die Auffahrt hinaus. Aus ihren Augenwinkeln konnte sie sehen, daß Diana, die im Hühnerhof stand, sie anstarrte.
    Sie ignorierte ihre Tochter und steuerte den Wagen ruhig die Auffahrt hinunter, bis Diana hinter der Masse des Hauses aus dem Blickfeld verschwand. Vor dem Haus wendete sie den Wagen und steuerte ihn dann auf den langen Zufahrtsweg. Zum ersten Mal seit fast zwanzig Jahren fuhr Edna Amber allein in die Stadt.
    Zehn Minuten später brachte sie das Auto in der Parkverbotszone vor dem Rathaus zum Stehen. Es war ein schmales, zweistöckiges, mit Schindeln verkleidetes Gebäude, auf dessen Dach sich ein Glockenturm erhob. Die Glocke war noch in Gebrauch, um die Stadt bei Feueralarm zu warnen und die Freiwilligen zu alarmieren, die die Löschmaschine bedienten. Sie ließ die Schlüssel im Zündschloß stecken und überlegte sich genau, was sie Dan Gurley sagen würde.
    Während Edna den alten Cadillac verließ, saß der Marshal in seinem Büro und war überhaupt nicht überrascht, daß Edna Amber heute in die Stadt gekommen war. Ja, er hatte sogar gelächelt, als er sie vorfahren sah, und sich an die Unterhaltung erinnert, die er den Abend zuvor mit Bill Henry geführt hatte. Es ging um das kleine Mädchen; Edna Amber, dessen war er sich sicher, wollte mit ihm über Christie Lyons reden.
    Er erwartete sie stehend, als sich die Tür zu seinem Büro öffnete und sie hereinkam. Er streckte ihr seine Hand hin, doch sie ignorierte sie. Statt dessen nahm sie einfach Platz und starrte ihn ziemlich lange an.
    »Ich glaube, ich brauche Ihren Rat, Daniel«, begann sie.
    »Wenn ich Ihnen helfen kann, Miß Edna«, erwiderte Gurley herzlich und ließ seinen mächtigen Körper in den Sessel hinter dem Schreibtisch sinken.
    »Das ist keine einfache Angelegenheit«, fuhr Edna fort. »Sie betrifft Diana und dieses kleine Mädchen, Christie Lyons.«
    Gurley hob die Augenbrauen. »Gibt's da ein Problem?«
    »Das Problem, Daniel, ist, daß ich möchte, daß Christie irgendwo anders hingebracht wird.«
    »Ich verstehe.« Gurley drehte seinen Sessel herum und starrte einen Augenblick lang aus dem Fenster. Dann sprach er, ohne sich umzudrehen, Edna an. »Wollen Sie mit mir sprechen oder mit einem Anwalt?«
    »Wenn es erforderlich ist, mit einem Anwalt zu sprechen, Daniel, dann werde ich das«, sagte die alte Frau bissig. »Ich bin zu Ihnen gekommen, weil ich glaube, daß Sie mir helfen können. Ich möchte wissen, wie ich meiner Tochter das Kind wegnehmen kann.«
    Jetzt drehte sich Gurley um und schaute sie wieder an. Sein gewöhnlich ruhiger Gesichtsausdruck war einem verärgerten Stirnrunzeln gewichen. »Ich dachte, Bill Henry hätte Ihnen das bereits erklärt: Das haben nicht Sie zu entscheiden.«
    »Das hat mir Dr. Henry gesagt. Was ich wissen möchte ist, unter welchen Umständen ich es zu entscheiden hätte. Können Sie mir das sagen?«
    Dan zuckte die Schultern. »Ich denke, wenn Sie beweisen könnten, daß Diana nicht dazu geeignet ist, sie zu erziehen, würde sich das Gericht veranlaßt sehen, das Testament aufzuheben.«
    »Sie ist nicht dazu geeignet«, stellte Edna fest.
    »Können Sie das vor Gericht beweisen?«
    Edna saß lange Zeit schweigend da und durchdachte die Frage. Sie hatte gewußt, daß sie gestellt werden würde, aber sie hatte die Entscheidung, welche Antwort sie geben würde, vor sich hergeschoben. Jetzt konnte sie ihr nicht länger ausweichen.
    »Ich denke ja«, sagte sie schließlich. »Ich möchte meine Tochter nicht verletzen, Daniel, aber ich fühle, daß ich tun muß, was richtig ist.«
    Dan Gurley spürte, daß er auf die alte Frau ärgerlich wurde. »Richtig für wen? Für Diana? Für Christie Lyons? Oder für Sie selbst?«
    Ednas Augen verengten sich und Dan konnte sehen, daß sich ihre Entschlossenheit verstärkte. »Für uns alle«, sagte sie fest. »Es gibt Dinge, die Sie nicht wissen, Daniel. Dinge, die niemand hier weiß. Ich hoffe, daß dies Dinge sind, die ich mit mir ins Grab nehmen kann. Aber wenn dieses Kind in meinem Haus bleiben muß, kann ich für das, was geschehen könnte, nicht die Verantwortung übernehmen.«
    Gurley erhob sich aus seinem Sessel, ging um den Schreibtisch herum und baute sich vor der alten Frau auf. Er blickte auf sie herab und sein Gesichtsausdruck war

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