Wehrlos: Thriller
haben die größten Public-Relations-Firmen angeheuert, um die Unterstellung, dass Rauchen tödlich sei, zu widerlegen. Sie haben sich zusammengetan, um die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Beweise der Wissenschaftler nicht stichhaltig waren.«
»Und sie haben das Nationale Komitee der Tabakindustrie gegründet«, fuhr Millicent lakonisch fort, die es eilig hatte, dass ihr Vater endlich auf den Punkt kam, zu ihrem Posten, zu ihrer Aufgabe.
»Ganz genau«, stimmte Reed zu und deutete mit der Spitze seiner Zigarre auf Millicent. »Ein Komitee, das sich das Ziel gesetzt hatte, dem Produkt ein positives Image zu verleihen. Dann haben sie begriffen, dass es nicht ausreichte, den Antitabakwissenschaftlern den Wind aus den Segeln zu nehmen, sondern dass sie auch neue Forschungen finanzieren mussten. Also haben sie das Komitee der Tabakindustrie für Forschung gegründet, das eigene Studien vorgenommen und den Zusammenhang zwischen Rauchen und Krebs ernsthaft infrage gestellt hat. Sie haben nur an den gesunden Menschenverstand appelliert. Die Mäuse bekommen beim Kontakt mit dem Teer der Zigarette Hautkrebs, na schön, warum aber nicht in einem verrauchten Zimmer? Warum ist das Krebsaufkommen je nach Stadt unterschiedlich, obwohl die Zahl der Raucher gleich ist? Warum bekommen nicht alle Raucher Lungenkrebs? Ist der Auslöser nicht vorrangig genetischer Natur?«
Zwischen Überdruss und Faszination schwankend, lauschte Millicent ihrem Vater.
»So haben sie verschiedene verfängliche Fragen aufgegriffen«, fuhr Reed fort. »Sie haben Zweifel bei den Leuten gesät und damit ihr Produkt verteidigt. John Forrester, der Generaldirektor der PR -Agentur, den ich immer sehr geschätzt habe, sagte: › Der wissenschaftliche Zweifel muss andauern. ‹ Das war eine wichtige Lektion, Milli. Vielleicht die wichtigste meiner ganzen Laufbahn.« Leiser fuhr ihr Vater fort: »Wie du weißt, habe ich 1985 die Stiftung für wissenschaftliche Forschung, die FRS , gegründet.«
Ja, das wusste Millicent. Hannibal Reed setzte seine Tirade fort. »Unsere Stiftung ist dazu da, die Wahrheit zu korrigieren, wenn die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse sich gegen unsere Interessen wenden. Jede Studie birgt einen gewissen Teil an Unsicherheit, die Möglichkeit eines Irrtums. Unsere Forscher haben die Aufgabe, diese Punkte herauszuarbeiten und die Schwachstellen des Systems der Öffentlichkeit und den Politikern aufzuzeigen, damit sie uns unterstützen und nicht in übertriebene Kontroll- und Vorsichtsmaßnahmen verfallen.«
Millicent nickte und wagte es nicht, ihren Vater zu unterbrechen. Das Gespräch nahm eine unerwartete Wendung, und der Zigarrenrauch bereitete ihr fast Übelkeit. Natürlich hatte sie schon solche Tiraden von ihrem Vater gehört, aber er hatte sich dabei nie direkt an sie gewandt.
»Das Entscheidende ist, dass unsere Wissenschaftler und die Politiker, die uns unterstützen, im Rampenlicht stehen. Dafür werden sie reich entlohnt. Wir bleiben im Hintergrund und tauchen nirgendwo auf, aber wir haben die Fäden in der Hand. So haben wir es bei den Pestiziden, dem PCB und der Klimafrage gehandhabt und sind gut damit gefahren.«
»Bei der Klimafrage?«, hakte Millicent nach.
»Wer hat deiner Meinung nach die Klimaskeptiker unterstützt, um zu verhindern, dass die USA eine repressive Umweltgesetzgebung verabschieden? Wer?«
Er beantwortete seine Frage selbst: »Das war ein unglaublicher Erfolg, den ich zum großen Teil deinem Bruder Henry verdanke. Er hat die Sache auf geniale Art meisterhaft organisiert. Dank unserer Arbeit in sozialen Netzwerken wird es in nächster Zeit bei uns keine Senkung der Kohlendioxidemissionen geben. Das kannst du mir glauben. Und hast du gesehen, wie die Climategate-Affäre die betroffenen Wissenschaftler zum Zittern gebracht hat? Wie ist es uns gelungen, sie innerhalb weniger Tage zu diskreditieren? Ah, ich will es dir erklären. Als sich die UNO -Delegation am Abend des 17. Dezember auf eine unbedeutende Resolution geeinigt hat, haben wir die Champagnerkorken knallen lassen. Mit einem solchen Text werden weder Obama noch seine Nachfolger die Ölgesellschaften und die Industriellen zwingen können, einschränkende Umweltgesetze zu akzeptieren.«
Der Mund unter den Raubvogelaugen verzog sich zu einem boshaften Lächeln. Millicent hatte die Climategate-Affäre aus der Ferne verfolgt, aber nie vermutet, dass ihr Vater und ihr älterer Halbbruder die Drahtzieher gewesen waren. Sie
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