Wehrlos: Thriller
die Stirn. »Was erzählen Sie denn da?«, wetterte er.
»Christa litt der Gerichtsmedizinerin zufolge an einem Herztumor«, fuhr Rachel unerschrocken fort. »Und Stammzellen können zu einer Tumorbildung führen. Das passt alles zusammen!«
Professor Hansen blinzelte und schnaubte. So hatte Rachel ihn noch nie erlebt. Nun hatte er nichts mehr von Sachas gutem Doktor Dodu, sondern er war ganz der große Akademiker, den die Wahnvorstellungen einer Patientin erbosten. Er nahm sich zusammen, um ruhig zu bleiben.
»Rachel, ich verstehe Sie ja. Sie haben eine schreckliche Woche hinter sich, Sie sind überfordert und gestresst. Sie haben einen lieben Menschen verloren. Aber hören Sie gut zu. Sacha ist bei bester Gesundheit und wird hier täglich überwacht. Ich versichere Ihnen, dass uns bei den Untersuchungen ein Tumor nicht entgehen würde, wenn er denn einen hätte.«
»Vielleicht, aber woher sollen wir wissen, was meine Schwiegermutter ihm verabreicht hat?«
Er seufzte. »Ich habe noch andere Patienten, Rachel. Also bitte freuen Sie sich, dass Ihr kleiner Junge Fortschritte macht und es ihm immer besser geht. Ist das nicht letztlich das Wichtigste? Und hören Sie auf, sich so viele Sorgen um ihn zu machen. Er spürt das. Was zählt, ist, dass er seine Physiotherapie fortsetzt und Sie ihm dabei helfen.«
Rachel verstand, dass sie von dem Arzt keine Unterstützung zu erwarten hatte. Im Grunde war er wie alle anderen. Sie gab scheinbar nach. »Natürlich, ich verstehe.«
»Und seien Sie beruhigt, wir werden ihn weiterhin eingehend überwachen.«
»Natürlich«, wiederholte sie. »Es tut mir leid, Sie gestört zu haben.«
Das gereizte Funkeln in Hansens Augen erlosch. »Gut, sagen Sie, liebe Rachel, haben Sie bezüglich der klinischen Studie schon eine Entscheidung getroffen?«
Rachel räusperte sich. Wenn es darum ging, ihr die Vorteile seiner Studie anzupreisen, war er natürlich wieder ganz bei der Sache. »Ich kann mich nicht dazu entschließen«, antwortete sie. »Ich habe zu viel Angst vor den Risiken.«
»Okay«, meinte er, und seine Stimme klang wieder sanft, »ich verstehe, es ist Ihre Entscheidung.«
Als Rachel die Tür seines Büros hinter sich geschlossen hatte, verzog Professor Hansen verärgert das Gesicht.
Rachel fand sich im Park des Riget wieder, ohne sich daran zu erinnern, den Lift oder die Treppe genommen, die große Eingangshalle durchquert und am Parkplatz vorbeigekommen zu sein, und blieb mit verlorenem Blick vor den Rädern stehen. Sie war unschlüssig. Ihr ganzes Leben war momentan nur eine lange Reihe von Fragezeichen. Hatte Christa etwas mit Sacha gemacht? Oder hatte sie sich lediglich über die Stammzellen informiert und es dabei bewenden lassen? Was sollte sie jetzt tun? Wie es je in Erfahrung bringen? Wer wusste die Antwort? Christa hatte ihr Geheimnis mit ins Grab genommen. Rachel fühlte sich schlecht, körperlich elend. Etwas lag ihr wie ein Stein im Magen, ihr war fast übel. Sie verzichtete auf das Fahrrad und überquerte die Straße zu Fuß in Richtung N ø rrebro. Sie musste laufen, nachdenken, um wieder eine gewisse Ausgeglichenheit zu finden.
■ ■ ■
»Und wenn ich einmal groß bin, möchte ich Piratin werden, und ihr?« Rachel klappte das Buch Pippi Langstrumpf zu.
»So, Schluss für heute.«
»Mehr!«, rief Sacha.
»Nein, das ist für heute Abend genug. Und du, mein Herz, was willst du einmal werden?«
»Polizist!«
»Das ist eine prima Idee«, antwortete Rachel und küsste ihn auf die Stirn. »Du wirst bestimmt ein sehr guter Ermittler werden.«
Nach einem kurzen Zögern fügte sie mit bemüht leichter Stimme hinzu: »Ich war heute bei Omas Doktor, bei Doktor Wang, den du auch kennst. Er hat mir gesagt, dass du wie die Mama von Pippi in den Wolken verschwinden wolltest. Stimmt das?«
»Das war, als ich traurig war.«
»Weil ich weg war?«
»Ja.«
»Und jetzt geht es wieder?«
»Ja.«
»Ich werde nicht mehr fortgehen, das weißt du. Und ich werde dich beschützen.«
Sacha drückte sein Kuscheltier an sich.
Rachel hätte ihm gerne gesagt, wie leid es ihr tat, ihn vernachlässigt zu haben, und dass sie sich geschworen hatte, es für den Rest ihres Lebens wiedergutzumachen. Jedoch wollte sie ihm die Last ihrer Schuldgefühle nicht aufbürden. Sie begnügte sich damit, ihn fest in die Arme zu nehmen.
»Weißt du, wir beide werden es gut haben. Mama ist wieder da.«
»Ich hab dich lieb, Mama.«
»Ich dich auch, mein Großer.«
»Du wirst sehen, ich
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