Wehrlos: Thriller
Rachels Vision von einer gelungenen Zukunft für die Bürger und ihren Planeten.
Sacha plapperte pausenlos. Mit Christa sprach er Dänisch, mit seiner Mutter Französisch, er jonglierte bereits problemlos mit beiden Sprachen. Dann dachte Rachel an das unerklärliche Wunder, das sich bei ihrem Sohn gezeigt hatte: Er hatte seine Beine heben können. Zum ersten Mal hatte sie die begründete Hoffnung auf eine Besserung. Sie rief sich jedoch augenblicklich zur Räson. Wenn dies nur ein vorübergehender Zustand wäre? Sie musste sich bis zur Rückkehr von Dr. Hansen am übernächsten Tag gedulden. Erst dann würden sie anhand der Ergebnisse gemeinsam Bilanz ziehen können. Inzwischen verbot sich das Hirngespinst einer Genesung, vor allem durfte sie ihrem Jungen keine falschen Hoffnungen machen.
Beim Verlassen des Aufzugs vergewisserte sich Rachel, dass sich auf dem Außenflur kein ungebetener Gast befand, bevor sie rechts in den langen Gang einbog, der zu den Wohnungen mit den blank geputzten großen Fenstern führte. Eine irgendwo zuschlagende Tür ließ sie zusammenzucken. Leide ich jetzt schon unter Verfolgungswahn? Zu ihrer Linken blickte sie auf die Wiese, von der ein Geruch nach gemähtem Gras und Gegrilltem aufstieg. Ein Pärchen hatte es sich auf einer Bank gemütlich gemacht, einige Nachbarn saßen im Ø restad Café an der Ecke des gegenüberliegenden Blocks, das zum Treffpunkt der Bewohner des Viertels geworden war. Mehrere Kinder schaukelten oder vergnügten sich auf dem Drehkarussell unter dem wachsamen Blick ihrer Mütter, darunter auch Helen. Sie grüßten sich mit einem kleinen Handzeichen. Gerade als sie vor ihrer Wohnungstür angelangt war, kam ihr Flurnachbar Jesper, ein wegen Dienstunfähigkeit entlassener Soldat, der inzwischen bei Fair Trade tätig war, aus seiner Wohnung, um seinen Abfall wegzubringen.
» Hej , Rachel!«, rief er, stellte seine Mülltüten ab und umarmte sie. »Wir wollten anlässlich deiner Rückkehr ein kleines Fest geben.«
»Lass mich erst mal ankommen, dann trinken wir ein Gläschen zusammen, wenn du magst.«
»Wir sind jeden Nachmittag im Ø restad Café . Komm doch vorbei!«
»Aber ja!«
Seit ihrer Abreise hatte sie oft von diesem Augenblick geträumt. Rachel öffnete ihre Wohnungstür und seufzte. Endlich .
»Wir sind daheim, mein Kleiner.«
Entgegen ihrer Gewohnheit sperrte Rachel hinter sich ab.
Sie hatte diese Wohnung vor drei Jahren gemietet. Vierundsechzig Quadratmeter, aufgeteilt in ein großes Wohn- und Esszimmer mit einer offenen, durch eine Bar abgetrennten Küche, die durch eine Fensterfront zum Außenflur erhellt wurde. Von diesem Multifunktionsraum gingen das Bad und zwei Schlafzimmer ab. Rachel hatte alles im klaren, sachlichen Ikea-Stil eingerichtet. Helles Kiefernparkett, eine weiße Bar mit zwei hohen Hockern aus Metall und Weidengeflecht, ein runder Tisch aus demselben Programm vor dem Fenster auf der Küchenseite. Im Wohnbereich umrahmten weiße Billy-Regale, die mit Büchern und Comics gefüllt waren, eine schwarze Couch mit orangefarbenen Kissen gegenüber einem großformatigen Fernseher.
Dieser Grundausstattung hatte Rachel eine persönliche Note verliehen. Schwarz-Weiß-Porträts von Sacha inmitten von Blumen, ein Geschenk von Joanna zum dritten Geburtstag des Kleinen, zierten die Wand im Eingang gegenüber dem Garderobenschrank. Im Wohnbereich hatte sie mehrere Großaufnahmen von Elefanten, Löwen, Leoparden, Büffeln und weiteren Wildtieren aufgehängt und träumte davon, sie eines Tages gemeinsam mit Sacha entweder in der freien Natur des Masai-Mara-Nationalparks in Kenia oder im Krüger-Nationalpark in Südafrika beobachten zu können. Über die Rückenlehne der schwarzen Couch hatte sie indische Tücher in kräftigen Farben geworfen und Dutzende orangefarbene Teelichter auf dem Couchtisch verteilt. Jetzt, wo sie nicht mehr reiste, würde sie ihre Wohnung noch individueller gestalten.
Auf der Küchenbar warteten die mit Einkäufen gefüllten Papiertüten darauf, ausgepackt zu werden. Diese Christa ! Rachel dankte ihr in Gedanken.
Sacha wurde in seinem Rollstuhl unruhig. »Kann ich einen Zeichentrickfilm anschauen und mit meiner Eisenbahn spielen?«
Rachel zögerte, denn es war bald Essenszeit, aber sie wollte ihm keine Bitte abschlagen. »Einverstanden, bis das Essen fertig ist.«
»Jaaa!«
Die junge Frau vergewisserte sich erneut, dass Tür und Fenster verschlossen waren, dann trug sie Sacha in einen speziellen Liegestuhl, der seiner
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