Wehrlos: Thriller
Lieblingskapitel, vor allem die Beschreibung der Eltern des Mädchens. Ein Kapitän auf großer Fahrt und eine verstorbene Mama, die zu den Wolken davongeflogen war.
»Wann kommt ihre Mama wieder?«, wollte Sacha wissen.
Rachel war unsicher. »Na ja … gar nicht, weil sie gestorben ist.«
»Und warum ist sie in den Wolken? Wie ist sie denn dahin gekommen? Mit einer Rakete?«
»Nein … manche Menschen glauben, dass man, wenn man gestorben ist, in den Himmel kommt.«
»Wohin?«
»In den Himmel … na ja, das ist eine Geschichte, die man erzählt. Man weiß nicht, ob es wirklich stimmt. Manche glauben daran.«
»Und ihr Papa?«
»Er ist Schiffskapitän.«
»Wie mein Papa?«
»In gewisser Weise, Liebling. Dein Papa ist Seemann und arbeitet auch auf einem Schiff.«
»Und wann kommt er wieder?«
Wie jedes Mal, wenn Sacha nach seinem Vater fragte, hatte Rachel nur ein Bedürfnis: in einem Mauseloch zu verschwinden. Aber nein, sie musste bleiben und überzeugend wirken.
»Das ist wie bei Pippis Vater, er ist auf See, und man weiß nicht, wann er wiederkommt. Aber er denkt an dich, da bin ich mir sicher«, sagte sie, dabei wurde ihr klar, dass ihre Nase, wenn sie Pinocchio wäre, endlos lang werden würde.
»Aha, vermisst er mich?«
»Ja, natürlich.«
»Wann sehe ich ihn?«
»Ich … ich weiß es nicht. Aber jetzt musst du schlafen.«
»Singst du mir Doucement vor?«
Erfreut, aus dieser unangenehmen Lage herauszukommen, stimmte Rachel das Schlaflied Doucement auf Französisch an, während Sacha seine Lieblingskuscheltiere um sich herum versammelte.
»Deckst du mich zu?«, fragte er, als das Lied zu Ende war.
Rachel zog die Sommerdecke mit dem Toy-Story-Muster über seine Schulter und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Sie betrachtete die Tapete an der Wand mit den Meermotiven, dem Clownfisch, dem Kraken, dem Wal … die große Familie der WWF -Kuscheltiere, die vom Schrank herab den kleinen Jungen bewachten, und die mondförmige Lampe, die ein gedämpftes Licht verströmte. Sie mochte dieses Zimmer zur Schlafenszeit ganz besonders, wenn sich das Leben beruhigte und alles in Ordnung zu kommen schien. Als sie aufstand und die Nachttischlampe ausknipste, ertönte unter der Bettdecke ein kleines Stimmchen. »Kannst du das Licht anlassen?«
»Natürlich.«
»Ich habe Angst, dass der chinesische Mann kommt.«
Rachel runzelte die Stirn. »Welcher chinesische Mann?«
»Der große Bösewicht.«
»Mein Schatz, in deinem Zimmer ist kein Bösewicht, kein Monster und kein chinesischer Mann. Hier sind nur deine Kuscheltiere, die auf dich aufpassen.«
Sie umarmte ihn erneut. »Also, schlaf jetzt schön.«
Rachel ließ das Nachtlicht an. Fortan wird am Abend nicht mehr ferngesehen. Vor allem nicht Scooby-Doo mit diesen Gespenstergeschichten. Sie hatte nachgegeben, das hätte sie nicht tun sollen. Wenn er nun Albträume bekam, war das einzig und allein ihre Schuld.
Sie ging zurück ins Wohnzimmer. Frederik war bereits dabei, den grünen Wollfilz auf dem Tisch auszubreiten, Paula mischte die Karten, während Maria bunte Jetons vor sich aufstapelte. Rachel, die ein Pokerfreak war, verspürte eine freudige Erregung. Dreißig Minuten später erhielt sie den ersten Pot, und ihr Gesichtsausdruck war so entzückt wie der einer Katze, die eine Maus gefangen hat.
»Das Glück wendet sich, das spüre ich!«, prahlte sie.
»Wir lassen dich gewinnen, weil du so viel durchgemacht hast, meine Liebe«, stichelte Paula verschmitzt.
Rachel wollte gerade schlagfertig antworten, als sie ihr Nokia-Handy in der Gesäßtasche ihrer Jeans vibrieren spürte. Anonym. Sie nahm das Gespräch an.
»Sonder dich ab!«
■ ■ ■
Den Befehl gab eine tiefe, raue Stimme, wahrscheinlich eine Frau, auch wenn sie das nicht hätte beschwören können.
»Wie bitte?«
»Sonder dich ab!«
Rachels Gehirn war sofort in höchstem Alarmzustand. Mit einer kleinen entschuldigenden Geste zu ihren Freunden ging sie in ihr Schlafzimmer, das links am Ende des Wohnzimmers lag und durch eine Schiebetür abgetrennt war. Diese öffnete sich auf einen kleinen, japanisch eingerichteten Raum, möbliert mit einem schwarzen Lackfuton, daneben, an der linken Wand, einem großen Einbauschrank, rechts einem überladenen kleinen Schreibtisch zwischen einer Reispapierlampe und einem hohen, schmalen Fenster.
»Wer sind Sie?«
»Ich hab nicht viel Zeit. Wenn du wissen willst, wer das Schiff mit der Sprengladung versehen hat, hör mir zu.«
Rachel setzte sich
Weitere Kostenlose Bücher