Wehrlos: Thriller
benommen auf ihr Bett. »Ich höre.«
»In zehn Minuten im Bella Center, Karen Blixen, Lesotho-Plakat. Komm allein. Sonst bin ich weg.«
Dann wurde aufgelegt.
Die Botschaft mochte unverständlich erscheinen, für Rachel war sie es jedoch nicht. Sie schaute auf ihre Armbanduhr. 21 . 50 Uhr. Das Blut pochte in ihren Schläfen. Sie hatte die Wahl, den Anruf zu ignorieren, aber ihr Instinkt sagte ihr, dass sie Informationen erhalten würde. Sie konnte auch ihre Freunde verständigen und mit einem von ihnen zu dem Treffen gehen. Aber die Unbekannte hatte sie gewarnt. Sie hatte zehn Minuten, nicht mehr. Keine Zeit für irgendwelche Winkelzüge.
Als sie aus ihrem Schlafzimmer trat, trug sie über der Jeans ein graues Sportsweatshirt.
»Was treibst du?«, rief Frederik.
Rachel sagte schnell: »Ich muss zu einem Nachbarn, um irgendetwas Eiliges für die Wohnanlage zu unterschreiben. In spätestens einer halben Stunde bin ich zurück. Macht schon mal ohne mich weiter.«
Rachel schlang einen khakifarbenen Schal um den Hals und ging, ohne ihren Freunden für weitere Fragen Zeit zu lassen. Draußen stellte sie fest, dass sie ihr Badge für das Bella Center vergessen hatte. Unter den verblüfften Blicken ihrer drei Gäste holte sie diesen aus dem Schrank im Flur und verschwand endgültig.
KAPITEL SIEBEN
Es war kühler geworden, aber Rachel fror nicht. Sie verspürte nicht mal Angst. Sie wollte es einfach nur wissen. Dem Tod so knapp entronnen zu sein verlieh ihr ein irreales Gefühl der Unverwundbarkeit. Sie eilte die drei Stockwerke zu Fuß hinunter, wandte sich mit großen Schritten dem Spielplatz zu und bog auf den kleinen Pfad zwischen den Schaukeln ein. Hinter dem zweiten Wohnblock in fünfhundert Metern Entfernung zeichnete sich die riesige Stahlkuppel des Bella Center ab.
Das Bella Center, ein einhundertzwanzigtausend Quadratmeter großes Konferenzzentrum, wo verschiedenste Veranstaltungen – von der Lederwarenmesse über große internationale Tagungen bis hin zur Hochzeitsmesse – stattfanden, war vor allem auch der Ort, an dem im Dezember 2009 der Welt-klimagipfel getagt hatte. Eine historische Begegnung, an der einhundertzwanzig Staats- und Regierungschefs teilgenommen hatten. Dieser Gipfel hatte Rachel tief berührt und ihr ökologisches Bewusstsein reifen lassen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie den Diskussionen bei Green Growth über den Klimawandel zwar interessiert gelauscht, das Problem aber aus einer gewissen Distanz betrachtet, da es nicht ihr Hauptarbeitsgebiet war. Anlässlich des Gipfels waren ihr die Augen aufgegangen. Die Aufgabe, die Peter ihr anvertraut hatte, bestand in der Koordination der Green-Growth-Klimaspezialisten, der Insider , die die Diskussionen im Zentrum verfolgten, und der Aktivisten, die die Forderungen der Organisation draußen in der Stadt vertraten. Plötzlich mit dem Kern der Diskussion konfrontiert, war ihr die gewaltige Gefahr erst richtig klar geworden: Die Klimaproblematik bedrohte nicht nur die Erde, sondern die gesamte Menschheit. Im Dezember 2009 hatten sich die Mitgliedsstaaten der UNO in Kopenhagen zur 15 . Klimakonferenz, COP , getroffen, um die globale Klimaerwärmung auf maximal zwei Grad Celsius zu beschränken. Dies setzte drastische Bemühungen der Länder mit besonders hohen Treibhausgasemissionen voraus, um vor allem den Kohlendioxidausstoß durch Verkehr, Industrie, Landwirtschaft und Energieproduktion zu verringern. Es galt, eine völlig neue Welt ohne Kohlendioxid zu erfinden.
Für den Fall einer Erwärmung von mehr als zwei Grad Celsius sagten die Wissenschaftler nämlich eine unkontrollierbare Situation vorher. Veränderungen der jährlichen Niederschlagsverteilung, Gletscherschmelze an den Polen, Zunahme von Wirbelstürmen, Erwärmung der Weltmeere, Anstieg der Wasserspiegel, Überschwemmungen, Trockenperioden, Verlagerung von Tier- und Pflanzenarten, vermehrte Epidemien. Dies alles würde zu einer nicht aufzuhaltenden Invasion von Klimaflüchtlingen mit allen sich daraus ergebenden Konflikten führen.
Für Rachel war aus der Theorie Realität geworden, als sie die ersten Opfer der angekündigten Katastrophe getroffen hatte, Vertreter der Allianz kleiner Inselstaaten, die sich unter dem Banner AOSIS , Alliance of Small Islands States, zusammengeschlossen hatten und die wegen des Anstiegs der Meeresspiegel von der Weltkarte verschwinden würden.
An diesem Abend stürmte sie im Laufschritt Richtung Bella Center. Von zwei leistungsstarken Strahlern
Weitere Kostenlose Bücher