Wehrlos: Thriller
Plastizität wiederhergestellt werden?«, hatte sie mit aufkeimender Hoffnung gefragt.
Hansen hatte die Hände verschränkt. »Da es sich um einen angeborenen und nicht unfallbedingten Schaden handelt, existieren manche Nerven schlichtweg nicht. Darum ist seine Behinderung nicht zu behandeln – theoretisch gesprochen.«
Hansen legte auf und fuhr fort, als wären sie nicht unterbrochen worden: »Während des Kongresses habe ich mich lange mit James Fawcett, einem Forscher von der Cambridge University, unterhalten, der für ein pharmazeutisches Labor an diesen Themen arbeitet. Und sie haben herausgefunden, welche Faktoren zum Verlust der Plastizität des Gehirns oder Rückenmarks führen! Es handelt sich um Inhibitoren, also um Hemmstoffe, die die Regeneration des Nervengewebes verhindern.«
Rachel konzentrierte sich und kniff leicht die Augen zusammen.
»Beim Erwachsenen überziehen diese Inhibitoren sämtliches Nervengewebe im Gehirn und im Rückenmark, um die Zellen daran zu hindern, neue Verbindungen einzugehen, die der Ursprung der Plastizität sind. Man hat daran gedacht, dass eine Behandlung mit Enzymen die Inhibitorenschicht auflösen und somit die Plastizität des Nervensystems bei Erwachsenen wiederhergestellt werden könnte. Fawcett hat mir erklärt, er hoffe, durch den Einsatz von Enzymen, die die Plastizität steigern, Patienten mit bestimmten neurologischen Krankheiten helfen zu können. Sein Team versucht im Moment herauszufinden, ob die Stimulation der Plastizität sich positiv auf die Heilung von Schädigungen des Rückenmarks oder des Gehirns auswirken kann. Berichte über Versuche mit Mäusen haben zu beeindruckenden Ergebnissen geführt.«
»Aber Sie haben mir gesagt, Sacha habe nicht genügend Nerven gebildet, um seinen Zustand verbessern zu können.«
»Das ist richtig. In seinem Fall ginge es darum, die existenten Nerven zu stimulieren.«
Hansen holte tief Luft. »Ich habe mit Fawcett über Sachas Fall gesprochen. Er beginnt gerade eine klinische Studie mit einem Dutzend Patienten. Und nachdem er sich den Fall angehört hat, hat er angeboten, Sacha mitaufzunehmen.«
»Was ist das für ein klinischer Versuch?«
»Eine Studie über die Wirksamkeit und Ungefährlichkeit eines Mittels, die zunächst an einer kleinen Anzahl von Patienten durchgeführt und dann erweitert wird.«
»Kranke wie Sacha …«
»Die an einer partiellen Schädigung des Rückenmarks leiden und eine gute Entwicklung zeigen, so wie er, ja.«
»Sie wollen, dass Sacha als Versuchskaninchen dient?«
Hansen blickte zu Sacha, der, ganz auf sein Spiel konzentriert, dem Gespräch keine Aufmerksamkeit zu schenken schien, und schürzte die Lippen. »So würde ich die Dinge nicht sehen. Es ist eher eine einzigartige Chance, von einer neuen Behandlungsmethode zu profitieren. Noch einmal: Bei einer Schädigung des Rückenmarks können sich die Nerven regenerieren, aber dieser Prozess wird oft durch Narben verhindert. Professor Fawcetts Team hat herausgefunden, dass das bakterielle Molekül Chondroitinase zu einer Regeneration der Nervenfasern führt und auch die Plastizität der Neuronen verbessert.«
Der Professor holte eine kleine Broschüre hervor. »Ich möchte Ihnen nur kurz die Präsentation des Versuchs vorlesen, die Fawcett mir gegeben hat. Dann überlasse ich Ihnen natürlich die Entscheidung.« Hansen las ihr den Text vor und erklärte dabei jeden Punkt des Protokolls. Rachel hörte zu. Als Hansen begann, die potenziellen Risiken aufzuzählen, unterbrach sie ihn: »Ich möchte nicht, dass Sie Ihre Zeit verschwenden, Doktor, die Antwort ist Nein.«
»Ich verstehe Ihre Reaktion natürlich, aber … «
»Ich will nicht, dass Sacha auch nur dem allergeringsten Risiko ausgesetzt wird. Wir werden ein paar Jahre warten. Das dürfte Sie im Übrigen nicht allzu sehr erstaunen, denn Sie wissen ja, dass ich medizinische Versuche ablehne.«
»Natürlich, aber …« Er schob ihr die Broschüre zu. »Nehmen Sie sie mit, und lesen Sie sie in Ruhe, dann können Sie sich in den nächsten Tagen entscheiden.«
Da Rachel nicht verbohrt erscheinen wollte, schob sie die Broschüre in ihren Rucksack und versprach, sie sich anzusehen.
Hansen verschränkte die Hände. »Lassen wir die klinischen Versuche beiseite. Die Plastizität, die Sachas Nervensystem plötzlich aufweist, berechtigt zu Hoffnungen. Darum habe ich mit meinem Team ein intensives Rehaprogramm für ihn ausgearbeitet, mit dem ich gerne gleich morgen beginnen würde. Dazu
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