Wehrlos vor Verlangen
im Korb, das Türchen sicher verschlossen. Über Tahlias Handrücken lief Blut, und Charlie fauchte noch immer wütend. „ Theos !“, murmelte Thanos. „Was ist das? Eine Wildkatze?“
„Er ist nur ein bisschen empfindlich“, erklärte Tahlia ernsthaft. „Ich habe ihn aus dem Tierheim geholt. Seine Vorbesitzer müssen ihn schlecht behandelt haben. Eigentlich ist er ganz lieb.“
„Ich verlasse mich auf dein Wort. Du solltest die Kratzer desinfizieren.“ Thanos runzelte die Stirn. Einem Kater mit meuchlerischen Gelüsten ein Heim zu bieten, passte nicht in sein Bild von Tahlia. Er hob ihren Koffer an und warf noch einen Blick durch den Raum. An einem gerahmten Foto von Tahlia und einem großen rothaarigen Mann auf ihrem Nachttisch blieb sein Blick hängen. „Ist das dein Bruder?“, fragte er und ärgerte sich gleichzeitig über seine Neugier.
„Ich habe keine Geschwister.“ Sie zog ihre Jacke über. „Das ist Michael. Wir haben uns an der Uni kennengelernt. Er meinte, Rotschöpfe müssen immer zusammenhalten.“ Sie lächelte bei der Erinnerung. „Michael hat Veterinärmedizin studiert. Er ist wenige Monate vor seinem Examen an Meningitis gestorben.“
Thanos hörte das Schwanken in ihrer Stimme. „War er dein Freund?“ Warum fragte er das? Tahlias Leben sollte ihn nicht interessieren.
„Wir sind ein paar Monate zusammen ausgegangen.“ Mit den Jahren hatte sie Michaels Verlust verwunden. Nur ihre besten Freunde wussten, wie sehr sein Tod sie mitgenommen hatte. Und Thanos würde sie ganz bestimmt nichts darüber erzählen. Sie nahm den Katzenkorb. „Ich bin so weit.“
Ihr Ton verriet, dass sie nicht weiter über das Thema sprechen wollte. Das war ihm nur recht. Ein halbes Jahr lang hatte er nur ein kaltherziges Luder in ihr gesehen. Dass sie persönliche Tragödien hinter sich hatte, könnte bedeuten, dass er seine Meinung über sie vielleicht ändern müsste, und das hatte er nicht vor.
„Ich hoffe, du planst nicht, den Kater durch den Zoll zu schmuggeln“, bemerkte Thanos gepresst, als sie zu seinem Wagen gingen.
„Natürlich nicht. Hobson wird sich solange um Charlie kümmern. Er war der Butler meiner Eltern und lebt jetzt sozusagen im Halbruhestand in einem Häuschen, das zu Carlton House gehört. Wir müssen Charlie zu ihm bringen.“
„Liegt das auf dem Weg nach Gatwick?“
„Ich fürchte nein, eher in der entgegengesetzten Richtung. Trotzdem bleibt uns nichts anderes übrig. Charlie kann sich nicht allein versorgen.“
Thanos ließ den Motor an und fuhr los. Während der Fahrt sagte Tahlia nichts mehr, sondern gab ihm nur die Richtungsanweisungen für den Weg nach Carlton House.
„Jetzt verstehe ich, warum deine Eltern das Haus unbedingt behalten wollen“, sagte Thanos, als sie vor dem efeubewachsenen dreistöckigen Gebäude ankamen, dessen Bleiglasfenster in der Sonne funkelten. „Es ist beeindruckend.“
„Seit Generationen wird es an den ältesten Sohn der Familie weitergegeben. Aber meine Mutter war das einzige Kind, und so hat sie es geerbt“, erklärte Tahlia. „Es steht auf der Liste der denkmalgeschützten Gebäude, und ehrlich gesagt, die Instandhaltungskosten sind ein Albtraum. Meine Eltern tun ihr Bestes, um es zu unterhalten. Meine Mum ist so stolz auf ihr Erbe, sie liebt Carlton House. Es würde ihr das Herz brechen, wenn sie es aufgeben müsste …“
Abrupt brach Tahlia ab. Ungewollt hatte sie den Grund preisgegeben, weshalb sie Thanos’ Geliebte wurde. Zum Glück schwang im selben Moment die Tür auf, und ein alter, makellos gekleideter Mann kam langsam die Freitreppe herunter.
„Da ist Hobson“, lächelte Tahlia.
Schon wieder runzelte Thanos die Stirn. „Er kann unmöglich noch für deine Eltern arbeiten. Er muss mindestens neunzig sein.“
„Wir schätzen ihn auf Ende siebzig, er weigert sich, sein Alter zu nennen. Er hat schon für meine Großeltern gearbeitet.“ Tahlia stieg aus dem Wagen und nahm den Katzenkorb vom Rücksitz. „Mein Vater hat Hobson versprochen, dass er immer ein Zuhause auf Carlton House haben wird.“ Ihr Lächeln schwand. Wenn Carlton House aufgegeben werden musste, wohin würde Hobson dann gehen? Er hatte keine Familie mehr, seit über fünfzig Jahren war dieses Haus sein Heim.
Das wird nicht geschehen, versicherte sie sich in Gedanken und ging dem Butler entgegen. Thanos hatte zugesagt, Reynolds Gems zu kaufen. Carlton House war also sicher, und niemand würde je erfahren, dass sie sich hatte verkaufen müssen, um
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