Weiberabend: Roman (German Edition)
von Tams geheimer Vergangenheit. Wie selten wir die früheren Jahre der jeweils anderen erkunden, die vor unserer Begegnung an der Wegkreuzung »Mutterschaft« liegen. Was für Mädchen waren wir? Was für Blockaden haben unser Teenager-Dasein zu einem Elend gemacht? Waren wir knackig und verführerisch? Linkisch und verzweifelt? Die Ballkönigin oder das Mauerblümchen, mit dem niemand tanzen wollte?
»Da hast du sicher eine Menge durchgemacht«, sagt Dooly mit ihrer Sozialarbeiterinnen-Stimme, die dem Gegenüber versichert: »Ich habe dich gehört, ich nehme deinen Schmerz ernst.« Sie lockert den Schal, so dass er nur noch lose um ihre Schultern drapiert ist.
»Jetzt geht es mir gut«, sagt Tam mit forschem Lächeln. »Ich habe ein paar düstere Jahre durchgemacht, aber jetzt geht es mir gut.« Die Wiederholung macht mich nervös, denn es klingt, als protestiere Tam zu viel. »Also, was ich wegen Nathan eigentlich sagen wollte: Du solltest Essen nicht pathologisieren. Genau das hat meine Mutter bei mir gemacht – zum Schluss war ich völlig neurotisch wegen allem, was mir über die Lippen kam. Bestärke einfach gute Essgewohnheiten, aber lass Nathan ab und zu auch mal Junk-Food essen.«
Junk-Food? Ich kann es nicht glauben, dass ich gerade gehört habe, wie sie für ungesundes Zeug spricht, und sei es nur als gelegentliche Belohnung.
»Ja, genau das versuche ich auch. Aber ich muss mir jedes Mal auf die Zunge beißen, wenn er um eine zweite oder dritte Portion bittet«, sagt Helen.
»Du willst ihn unbedingt Dickerchen nennen, oder?«, sagt Liz. Endlich steckt sie sich das Kanapee in den Mund.
»Wag es ja nicht!«, fährt Tam empört auf.
»Ich mache doch nur Spaß«, sagt Liz kauend. »Ich weiß, dass ich kaltherzig bin, aber offene Grausamkeit ist nicht mein Stil.«
»Gluten«, beharrt Tam erneut.
»Ja, ich werde darüber nachdenken«, sagt Helen.
»Wenn alle im Haushalt ihre Ernährung umstellen, muss er sich daran gewöhnen. Vielleicht bittet er nicht mehr so oft um einen Nachschlag, wenn es Linseneintopf mit gedämpftem Spargel gibt«, sagt Fiona. Sie hat ihre Sandalen ausgezogen und massiert sich mit geübter, Reflexzonen-ausgebildeter Präzision die Zehen.
»Du kennst meinen Sohn nicht …«, sagt Helen lachend. »Aber das ist eine gute Idee. Um seinetwillen würde ich das sogar machen. Allen irdischen Freuden entsagen …«
»Wo wir gerade davon sprechen, wer möchte noch einen Erdbeer-Daiquiri?«, fragt CJ, bewaffnet mit der Schüssel und einem Schöpflöffel.
»Immer rein damit«, befiehlt Helen und streckt CJ ihr Glas entgegen.
»Alkohol?«, fragt Tam mit hochgezogenen Augenbrauen. Ihr Wasserglas ist leer und wird sicher bald nachgefüllt.
»Das vierte Baby«, sagt Helen. »Es wird irgendwie damit klarkommen müssen.«
»Du solltest ihm aber die besten Chancen bieten«, sagt Tam. »In deinem Alter liegt das Risiko, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen, bei eins zu dreißig.« Das sagt sie im Flüsterton, obwohl Ereka immer noch außer Hörweite auf dem Balkon steht und sich vom Wind und der Nachtluft liebkosen lässt.
»Ach, lass sie doch«, sagt CJ. »Würde bitte jemand Tam einen Daiquiri einschenken, bevor wir uns einen Vortrag anhören müssen?«
»Nein, ich möchte nichts, wirklich«, sagt Tam und hält schützend eine Hand über ihr leeres Glas.
»Mann, neulich habe ich eine saukomische Geschichte gehört«, sagt Helen. »Wahrscheinlich ist es nur ein moderner Mythos, aber was habe ich gelacht. Eine Frau war bei der Fruchtwasseruntersuchung und hat auf das Ergebnis gewartet. Sie hat bei dem Arzt angerufen, aber die Arzthelferin war nicht da, und die Aushilfe, die ans Telefon ging, war Ausländerin und konnte kaum Englisch …«
»Ist so was nicht immer furchtbar?«, sagt CJ. Ich werfe ihr einen eisigen Blick zu.
»Was denn?«, sagt sie. »Ich habe doch nichts gegen Ausländer. Aber wenn du den ganzen Tag mit Leuten zu tun hättest, die nicht mal richtig Englisch sprechen …«
»Kann ich meine Geschichte zu Ende erzählen?«, fragt Helen.
»Fang jetzt nicht damit an, CJ«, sage ich.
»Na ja, hier in Australien sprechen wir nun mal Englisch, und wenn Leute hierher kommen wollen, sollten sie dann nicht wenigstens unsere Sprache sprechen?«, erwidert CJ.
»Ja, dann sollten wir auch gleich darauf bestehen, dass alle weiß und heterosexuell sind – genau wie wir«, sage ich sarkastisch.
»Ach, komm schon von dem hohen Ross runter«, erwidert sie grob, »du verdammte
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