Weiberregiment
Es hat ein fast wasserdichtes
Dach, und es gibt dort kaum Ratten. Wir brechen auf, wenn der
Morgen dämmert! Ihr seid jetzt beim Militär!«
Polly lag im Dunkeln auf einem Bett aus modrigem Stroh. Die Frage,
ob sie vor dem Schlafengehen die Kleidung ablegen sol ten, stellte sich
erst gar nicht. Regen hämmerte aufs Dach, und der Wind wehte durch
den Spalt unter der Tür, trotz Igors Versuch, ihn mit Stroh
zuzustopfen. In den sporadischen Gesprächen fand Pol y heraus, dass
sie den feuchten Schuppen mit »Toller« Halter, »Knal er« Manickel,
»Reißer« Goom und »Stecher« Tewt teilte. Maladikt und Igor schienen
keinen wiederholbaren Spitznamen zu haben. Pol y wurde in
gegenseitigem Einvernehmen zu »Schnieke«.
Ein wenig überrascht stel te Pol y fest, dass der Junge namens Reißer
aus seinem Rucksack ein kleines Bild der Herzogin zog und es nervös
an einen alten Nagel hängte. Niemand sagte etwas, als er davor betete.
So was machte man eben.
Die Leute sagten, die Herzogin sei tot…
Beim Geschirrspülen hatte Pol y die Männer eines Abends darüber
reden gehört. Arm dran ist die Frau, die nicht lauschen kann, während
sie Lärm macht.
Tot, sagten sie. Aber die Leute im Schloss von Prinz-Marmaduk-und-
Pjotr-Albert-Hans-Josef-Bernhardt-Wilhelmsberg gaben es nicht zu.
Und weil es keine Kinder gab, und weil der Adel ausschließlich unter
sich heiratete, Vettern und Kusinen und so weiter, würde der Thron des
Herzogs an Prinz Heinrich von Zlobenien gehen! Ist das zu fassen?
Deshalb sehen wir sie nie, kapiert? Und in al den Jahren hat es kein
neues Bild von ihr gegeben. Das gibt einem zu denken. Angeblich
trauert sie wegen des jungen Herzogs, aber er ist vor mehr als siebzig
Jahren gestorben! Man munkelt, dass sie insgeheim begraben wurde
und…
An dieser Stelle hatte ihr Vater den Sprecher unterbrochen.
Manchmal möchte man vermeiden, dass sich die Leute daran
erinnern, dass man sich während eines bestimmten Gesprächs im
gleichen Zimmer aufgehalten hat.
Ob lebend oder tot, die Herzogin sah und hörte al es.
Die Rekruten versuchten zu schlafen.
Gelegentlich rülpste jemand oder ließ laut einen Wind streichen, und
Pol y steuerte einige falsche Rülpser bei. Das schien die anderen
Schläfer zu größeren Anstrengungen anzuspornen, und erst als das
Dach klapperte und Staub herabrieselte, kehrte wieder Ruhe ein. Ein-
oder zweimal hörte sie, wie jemand nach draußen trat in die windige
Dunkelheit, rein theoretisch mit der Absicht, den Abort aufzusuchen.
Aber angesichts der männlichen Ungeduld wurde die Angelegenheit
vermutlich nicht ganz so weit entfernt erledigt. Einmal, halb in einem
Traum, hörte Pol y jemanden schluchzen.
Sie achtete darauf, nicht zu laut zu rascheln, als sie den mehrmals
gefalteten, viel gelesenen und sehr fleckigen letzten Brief ihres Bruders
hervorholte und ihn im Licht einer einzelnen, tropfenden Kerze las.
Die Zensoren hatten ihn geöffnet und den Text verstümmelt, und er
trug den Stempel der Herzogin. Pollys Bruder schrieb:
Ihr Lieben,
wir sind in █████. und das ist ████ mit ███ große
Sache, und wie. Am ████ werden wir █████, und das
ist gut so, denn ██ draußen. Es geht mir gut. Das Essen
ist █████ und ██ wir █ bei ███. aber mein Kumpel
███ meint, keine Sorge, bis ████ ist alles vorbei, und
wir werden Medail en bekommen.
Kopf hoch!
Paul
Der Brief war in der sehr sauberen Handschrift von jemandem verfasst,
der beim Schreiben jedes einzelnen Buchstabens große Sorgfalt walten
ließ. Paul hatte sich Medaillen gewünscht, weil sie glänzten. Das war vor
fast einem Jahr gewesen, als jede Rekrutierungsgruppe fast ein ganzes
Bataillon versammelte, als Fahnen wehten und Musik spielte.
Gelegentlich kehrten jetzt einzelne Gruppen von Männern heim. Den
Glücklicheren unter ihnen fehlte nur ein Arm oder ein Bein. Es wurden
keine Fahnen geschwenkt.
Pol y entfaltete ein anderes Stück Papier, ein Flugblatt mit der
Überschrift: »Von den Müttern Borograwiens!« Die Mütter
Borograwiens ließen nicht den geringsten Zweifel daran, wie sehr sie
wol ten, dass ihre Söhne gegen den zlobenischen Aggressor in den
Krieg zogen, und sie unterstrichen dies mit vielen Ausrufezeichen. Das
war seltsam, denn die Mütter in Münz schienen sich nicht sehr darüber
zu freuen, dass ihre Söhne in den Krieg zogen; sie versuchten sogar, sie
daran zu hindern.
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