Weiberregiment
mangelte es nicht an Witwen, und Eva Klimm war
eine warmherzige Frau, die meisterhaft zu backen verstand. Die lange
Krankheit seiner Angetrauten und Pauls lange Abwesenheit hatten
Pol ys Vater sehr zugesetzt. Die alten Frauen, die ihre Tage damit
verbrachten, aus den Fenstern zu schauen und al es zu beobachten,
spionierten, ärgerten sich und tuschelten. Aber das machten sie schon
zu lange; niemand hörte mehr auf sie.
Pol y hob den Blick. Rauch und Dampf stiegen bereits von der
Wäscherei der Mädchenschule auf. Wie eine Drohung ragte die Schule
am einen Ende des Ortes auf, groß und grau, mit hohen, schmalen
Fenstern. Immer herrschte dort Stille. Als Polly klein gewesen war,
hatte man ihr erzählt, dass die »bösen Mädchen« dorthin kamen. Die
Art des »Bösen« wurde nicht erklärt, und im Alter von fünf Jahren
gewann Pol y die vage Vorstel ung, »böse« bedeutete, nicht ins Bett zu
gehen, wenn man dazu aufgefordert wurde. Als Achtjährige lernte sie,
dass dies der Ort war, wo man, wenn man Glück hatte, nicht hin
musste, wenn man einen Malkasten für den Bruder kaufte. Sie drehte
sich um und wanderte zwischen den Bäumen, in denen Vögel
zwitscherten.
Vergiss, dass du jemals Polly gewesen bist. Denk wie ein junger Mann, darauf kam es an. Wenn du furzt, dann tu dies laut und vol er
Zufriedenheit darüber, wie gut es dir gelungen ist. Beweg dich wie eine
Marionette, bei der einige Fäden durchgeschnitten sind. Umarme nie
jemanden. Und wenn du einen Freund triffst, so knuff ihn. Einige Jahre
Arbeit im Wirtshaus hatten viel Anschauungsmaterial geliefert.
Zumindest war es kein Problem, nicht die Hüften zu schwingen. Auch
dabei hatte die Natur gespart.
Und dann galt es noch, die Gangart eines jungen Mannes
nachzuahmen. Frauen schwangen wenigstens nur ihre Hüften. Junge
Männer schwangen alles, von den Schultern abwärts. Man muss
versuchen, möglichst viel Platz einzunehmen, dachte Pol y. Dann sieht
man größer aus, wie ein Kater mit aufgebauschtem Schwanz. Sie hatte
es im Wirtshaus oft gesehen. Die Jungen versuchten, groß zu gehen, es
war Selbstverteidigung gegen die anderen großen Jungs dort draußen.
Ich bin böse, ich bin grimmig, ich bin cool, ich möchte ein Glas Bier
mit Limonade, und meine Mutter will, dass ich um neun zu Hause
bin…
Mal sehen … Die Arme so vom Körper gestreckt, als trügen sie
Mehlsäcke … okay. Die Schultern so bewegen, als bahnte sie sich einen
Weg durch eine Menschenmenge … okay. Mit den gewölbten Händen
rhythmische Bewegungen machen, als drehten sie zwei unabhängige
Griffe an der Taille … okay. Die Beine locker und krumm, wie die
eines Affen … okay…
Es funktionierte einige Meter weit, bis Pol y durcheinander kam, und
die daraus resultierende muskuläre Verwirrung warf sie in ein Gebüsch.
Danach gab sie es auf.
Das Unwetter kehrte zurück, als sie über den Weg eilte; manchmal
hing eins tagelang in den Bergen. Aber hier oben war der Pfad
wenigstens kein Schlammbach, und die Bäume hatten noch genug
Blätter, um Pol y ein wenig Schutz zu bieten. Sie hatte nicht die Zeit,
besseres Wetter abzuwarten. Ein langer Weg lag vor ihr. Der
Rekrutierungskarren würde den Fluss mit der Fähre überqueren, aber
die Fährmänner kannten Pol y, und der Wächter würde die
Reiseerlaubnis sehen wol en, die Oliver Perks natürlich nicht hatte. Das
bedeutete einen weiten Umweg zur Trol brücke bei Tübz. Für Trol e
sahen Menschen al e gleich aus, und jedes Stück Papier genügte als
Erlaubnisschein, da sie nicht lesen konnten. Anschließend wollte Polly
durch den Kiefernwald nach Plün wandern. Der Karren musste dort
für die Nacht anhalten, doch der Ort war eins jener abgelegenen
Nester, die nur existierten, damit Landkarten die Verlegenheit zu vieler
leerer Stellen erspart blieb. Niemand kannte sie in Plün. Niemand kam
je dorthin. Es war ein elendes Kaff.
Der ideale Ort für Pol y. Die Rekrutierungsgruppe würde dort
übernachten, und das gab ihr Gelegenheit, sich anwerben zu lassen. Der
große dicke Feldwebel und sein schmieriger kleiner Korporal würden
bestimmt nicht das Mädchen wiedererkennen, das sie am vergangenen
Abend bedient hatte. Pol y war keine konventionel e Schönheit. Der
Korporal hatte versucht, sie in den Po zu zwicken, aber wahrscheinlich aus reiner Angewohnheit, so wie man nach einer Fliege schlug, und es
gab auch gar nicht viel, in das man zwicken konnte.
Auf dem Hügel über der Fähre nahm
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