Weiberregiment
oder, Pimmel? Bist du
vielleicht ein Deserteur, Pimmel?«
»Nein, H… Korporal!«
»Oder ein Dieb?«
»Nein, Korporal!«
»Woher hast du dann den verdammten Becher, Pimmel?«
»Von einem Toten, Herr – Korporal!«
Strappis kreischende Stimme wurde zu einem empörten Heulen.
»Du bist ein Plünderer ?«
»Nein, Korporal! Der Soldat…«
…war fast in Pol ys Armen gestorben, auf dem Boden des
Gasthauses.
Die Gruppe der zurückgekehrten Helden bestand aus sechs Männern.
Tagelang mussten sie mit blasser Geduld unterwegs gewesen sein,
zurück zu ihren kleinen Dörfern in den Bergen. Pol y zählte neun Arme
und zehn Beine und zehn Augen.
Die noch ganz waren, schienen am schlimmsten dran zu sein, in
gewisser Weise. Ihre stinkenden Mäntel blieben als Verbandersatz
zugeknöpft, über tiefen Wunden, und sie verströmten den Geruch des
Todes. Die Stammgäste des Wirtshauses machten Platz für sie und
sprachen leise, wie Besucher eines heiligen Ortes. Pollys Vater war
normalerweise nicht besonders sentimental, aber diesmal gab er einen
ordentlichen Schuss Brandy in jeden Bierkrug und nahm kein Geld
dafür. Es stel te sich heraus, dass die Männer Briefe von Soldaten bei
sich trugen, die noch kämpften, und einer von ihnen hatte Pauls Brief
mitgebracht. Er schob ihn über den Tisch, als Polly Eintopf servierte,
und dann starb er, einfach so.
Später an jenem Tag brachen die Männer wieder auf und nahmen die
aus Schmelzglas bestehende Medaille des Toten mit, um sie seinen
Eltern zu bringen, zusammen mit der Ehrenurkunde der Herzogin.
Pol y hatte einen Blick auf das Dokument geworfen. Der Name des
Mannes war in ein leeres Feld des vorgefertigten Texts eingefügt
worden, und die letzten Buchstaben drängten sich dicht aneinander –
der Name war ungewöhnlich lang, deshalb reichte der Platz kaum.
An solche kleinen Details erinnert man sich, wenn zielloser weißer
Zorn den Geist fül t. Abgesehen von der Auszeichnung und der
Medaille hinterließ der Mann nur einen Blechbecher und auf dem
Boden einen Fleck, der sich nicht wegschrubben ließ.
Korporal Strappi hörte ungeduldig zu, als Polly eine leicht angepasste
Version der Geschichte erzählte. Sie sah, wie es hinter seiner Stirn
arbeitete. Der Becher hatte einem Soldaten gehört; jetzt gehörte er
einem anderen Soldaten. Das waren die Fakten, und daran konnte er
kaum etwas ändern. Er kehrte auf das sichere Terrain al gemeiner
Gehässigkeit zurück.
»Du hältst dich wohl für gescheit, Pimmel«, bemerkte er.
»Nein, Korporal.«
»Ach? Du bist also dumm?«
»Nun, ich bin Soldat geworden, Korporal«, sagte Pol y sanft.
Hinter Strappi kicherte jemand.
»Ich habe dich im Auge, Pimmel«, knurrte Strappi, vorübergehend
geschlagen. »Pass bloß auf.« Er schritt davon.
»Äh…«, erklang eine Stimme neben Pol y. Sie drehte sich um und sah
einen jungen Mann, der abgenutzte Kleidung trug und dessen
Nervosität nicht über den in ihm brodelnden Zorn hinwegtäuschen
konnte. Er war groß und hatte so kurzes rotes Haar, dass es wie Flaum
wirkte.
»Du bist Toller, nicht wahr?«, fragte Polly.
»Ja, und, äh… könntest du mir dein Rasierzeug leihen?«
Polly betrachtete ein Kinn, das so haarlos war wie eine Billardkugel.
Der Junge errötete.
»Irgendwann muss man anfangen«, sagte er trotzig.
»Das Messer muss geschärft werden«, sagte Polly.
»Schon gut, ich weiß, wie man das macht«, erwiderte Toller.
Polly reichte ihm wortlos Becher und Messer und nutzte dann die
Gelegenheit, zum Abort zu huschen, während al e anderen beschäftigt
waren. Sie brauchte nur einen Augenblick, um die Socken an der
richtigen Stelle zu platzieren. Das Problem ihrer Verankerung löste
Pol y, indem sie Fäden von einer Socke löste und sie am Gürtel
befestigte. Das kleine Paket aus Wolle fühlte sich sonderbar schwer an.
Sie ging ein wenig unbeholfen, als sie sich auf den Weg machte, um zu
sehen, welche Gräuel das Frühstück bereithielt.
Es gab Pferdebrot, Würstchen und sehr dünnes Bier. Pol y nahm ein
Würstchen und ein Stück Brot und setzte sich.
Man musste sich konzentrieren, um Pferdebrot zu essen: Brot aus
Mehl, das mit zerriebenen getrockneten Erbsen und Bohnen sowie mit
Gemüseresten gemischt war. Früher war es al ein für Pferde bestimmt
gewesen, um sie in guter Verfassung zu halten. Heutzutage sah man
kaum etwas anderes auf den Tischen, und es gab auch immer weniger
davon. Man brauchte Zeit und gute Zähne, um sich
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