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Weiberregiment

Weiberregiment

Titel: Weiberregiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Trotzdem waren irgendwie mehrere Exemplare des
    Pamphlets in jedes Haus gelangt. Es klang alles sehr patriotisch. Mit
    anderen Worten: Es ging darum, Ausländer zu töten.
    Pol y hatte einigermaßen Lesen und Schreiben gelernt, weil das
    Gasthaus groß und ein Geschäft war, weil die Dinge kontrolliert und
    aufgeschrieben werden mussten. Ihre Mutter hatte sie Lesen gelehrt,
    wogegen Nuggan keine Einwände erhob, und ihrem Vater verdankte
    sie, dass sie schreiben konnte, und das gefiel Nuggan nicht. Pater Joppe
    hatte eine des Schreibens kundige Frau als Abscheulichkeit klassifiziert,
    was bedeutete: Was auch immer sie schrieb, war per definitionem eine
    Lüge.
    Aber Pol y lernte das Schreiben trotzdem, weil Paul es nicht lernte.
    Sie lernte es gut genug, um ein Gasthaus zu leiten, in dem ein so großer
    Betrieb herrschte wie in der »Herzogin«. Paul konnte lesen, wenn er mit
    dem Finger ganz langsam den Zeilen folgte, und er schrieb Briefe im
    Schneckentempo, mit großer Sorgfalt und unter schwerem Atmen, wie
    jemand, der ein Schmuckstück zusammensetzte. Er war groß, gutmütig
    und langsam, konnte Bierfässer wie Spielzeuge heben, aber mit
    Schreibarbeiten kam er nicht gut zurecht. Ihr Vater hatte Pol y sehr
    sanft, aber auch sehr oft darauf hingewiesen, dass sie direkt hinter ihm
    stehen musste, wenn die Zeit für ihn kam, sich um das Gasthaus zu
    kümmern. Wenn es niemanden gab, der ihrem Bruder sagte, was er als
    Nächstes tun sol te, stand er einfach nur da und beobachtete Vögel.
    Auf Pauls Bitte hin hatte sie ihm den ganzen Text vorgelesen, der
    angeblich »Von den Müttern Borograwiens!« stammte, auch den Teil
    über Helden, und dass es nichts Besseres gab, als für sein Vaterland zu
    sterben. Das bedauerte Pol y jetzt. Paul machte, was man ihm sagte.
    Leider glaubte er auch, was man ihm sagte.
    Pol y steckte Brief und Flugblatt unters Hemd und döste wieder ein,
    bis ihre Blase sie weckte. So früh am Morgen brauchte sie vor dem
    Abort sicher nicht Schlange zu stehen. Sie griff nach ihrem Rucksack
    und trat so leise wie möglich in den Regen.
    Er kam jetzt größtenteils von den Bäumen, die im heftigen Wind
    brausten, der durchs Tal wehte. Der Mond verbarg sich in den Wolken,
    aber das Licht war stark genug, um die Gebäude des Gasthofs erkennen
    zu können. Fahles Grau deutete darauf hin, dass das, was in Plün als
    Morgengrauen galt, unterwegs war. Pol y fand den für Männer
    bestimmten Abort und stel te fest, dass er tatsächlich nach
    Ungenauigkeit stank.
    Planung und Übungen hatten sie auf diesen Augenblick vorbereitet.
    Die Kniehose half ihr. Sie gehörte zur altmodischen Art, großzügig
    ausgestattet mit Knöpfen, die Klappen öffneten. Und morgens früh,
    beim Saubermachen, hatte sie viel experimentiert. Kurzum: Pol y
    wusste, dass auch eine Frau im Stehen pinkeln konnte, wenn sie den
    Details genug Aufmerksamkeit schenkte. Es funktionierte im Abort
    daheim, bei dessen Konstruktion man von einer gewissen Ziellosigkeit
    der Gäste ausgegangen war.
    Der Wind schüttelte das nasskalte Gebäude. In der Dunkelheit dachte
    Pol y an Tante Hattie, die um die sechzig ein wenig seltsam geworden
    war und vorbeikommenden jungen Männern immer wieder vorwarf, sie
    würden unter ihren Rock blicken. Nach einem Glas Wein wurde es
    noch schlimmer, und sie erzählte immer wieder den einen Witz: »Was
    macht ein Mann im Stehen, eine Frau im Sitzen und ein Hund mit
    gehobenem Bein?« Und wenn al e vor Verlegenheit keine Antwort
    gaben, juchzte sie triumphierend: »Die Hand schütteln!« Und dann
    krümmte sie sich vor Lachen. Tante Hattie war auch ohne Nuggan eine
    Abscheulichkeit.
    Pol y knöpfte ihre Hose vol er Freude zu und hatte das Gefühl, einen
    wichtigen Erfolg erzielt zu haben. Die Tatsache, dass ihre Füße trocken
    geblieben waren, bestärkte sie in diesem Empfinden.
    »Pscht«, sagte jemand.
    Zum Glück hatte sie gerade ihre Blase entleert. Panik presste jeden
    Muskel zusammen. Wo versteckten sie sich? Dies war doch nur ein
    verdammter alter Schuppen! Sicher gab es einige Nischen, aber al ein
    der Geruch wies mit großem Nachdruck darauf hin, dass der Wald
    draußen viel besser war. Selbst in einer stürmischen Nacht – mit
    Wölfen.
    »Ja?«, fragte Polly mit zittriger Stimme. Dann räusperte sie sich und
    wiederholte schroffer: » Ja? «
    »Du brauchst das hier«, flüsterte die Stimme. In der stinkenden
    Düsternis sah Pol y etwas über den oberen Rand einer Nische
    aufsteigen. Nervös griff sie

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