Weiberregiment
sie Platz, genehmigte sich ein
spätes Frühstück aus kalten Kartoffeln und Wurst und beobachtete
dabei, wie der Karren übersetzte. Niemand ging hinter ihm. Diesmal
waren in Münz keine jungen Burschen rekrutiert worden. Die Leute
hielten sich fern. Während der letzten Jahre hatten zu viele junge
Männer den Ort verlassen, und zu wenige waren zurückgekehrt. Und
manchmal brachten jene, die zurückkehrten, nicht al e Teile von sich
mit. Sosehr der Korporal auch auf seine Trommel hämmerte: Dem
Dorf Münz gingen die Söhne fast ebenso schnel aus, wie sich dort
Witwen ansammelten.
Der Nachmittag hing schwer und feucht, und ein Singvogel folgte
Pol y von Busch zu Busch. Der Schlamm der vergangenen Nacht
dampfte, als sie die Trol brücke erreichte, die den Fluss in einer
schmalen Schlucht überspannte. Sie war dünn und elegant
geschwungen, und angeblich hielt sie ohne Mörtel zusammen. Es hieß,
dass ihr eigenes Gewicht sie fest im Felsgestein auf beiden Seiten
verankerte. Ein Wunder der Welt sol te sie sein, aber die Leute in dieser
Gegend wunderten sich nicht oft und waren sich der Welt kaum
bewusst. Es kostete einen Cent, die Brücke zu überqueren, oder
hundert Goldstücke, wenn man einen Ziegenbock dabei hatte.* Auf
halbem Wege zur anderen Seite blickte Polly übers Geländer und sah
den Karren tief unten. Er rol te über die schmale Straße dicht über dem
weiß schäumenden Wasser.
Den ganzen Nachmittag über ging es bergab, durch den dunklen
Kiefernwald auf dieser Seite der Schlucht. Pol y beeilte sich nicht, und
bei Sonnenuntergang sah sie das Wirtshaus. Der Karren war bereits
eingetroffen, und al em Anschein nach hatte der
Rekrutierungsfeldwebel nicht einmal einen Versuch gemacht.
Es ertönte kein Trommelschlag wie am vergangenen Abend, und es
erklangen auch keine Rufe wie: »Kommt, ihr Grünschnäbel! Das Leben
ist großartig bei den Rein-und-Raussern!«
Es gab immer Krieg. Es war ein Grenzstreit, das nationale Äquivalent des Vorwurfs, dass der Nachbar seine Hecke zu lang wachsen ließ.
Manchmal wurde die Sache größer. Borograwien war ein friedliebendes
Land, umgeben von verräterischen, heimtückischen und kriegerischen
Feinden. Es mussten verräterische, heimtückische und kriegerische
Feinde sein, denn sonst würden wir ja nicht gegen sie kämpfen. Es gab
immer Krieg.
Pollys Vater war beim Militär gewesen, bevor er das Wirtshaus »Zur
Herzogin« von Pol ys Großvater übernommen hatte. Er sprach nicht
viel darüber. Er hatte sein Schwert mit nach Hause gebracht, hängte es
aber nicht über den Kamin, sondern benutzte es als Schürhaken.
Manchmal besuchten ihn Freunde, und wenn die Gaststube für die
Nacht geschlossen hatte, saßen sie am Feuer, tranken und sangen. Die
* Trolle sind keine schnellen Denker, aber mit dem Vergessen haben sie es
auch nicht eilig.
junge Pol y hatte einen Vorwand gefunden, um aufzubleiben und den
Liedern zuzuhören, doch das fand ein Ende, als sie eins der
interessanteren Wörter in Anwesenheit ihrer Mutter benutzte und sich
dadurch in Schwierigkeiten brachte. Jetzt war sie älter und servierte
Bier, und man nahm an, dass sie die Wörter kannte oder bald
herausfinden würde, was sie bedeuteten. Außerdem befand sich ihre
Mutter inzwischen an einem Ort, wo sie keinen Anstoß mehr an
Wörtern nahm und wo solche Ausdrücke, rein theoretisch, nie benutzt
wurden.
Die Lieder waren Teil von Pol ys Kindheit gewesen. Sie kannte den
Text von »Die Welt steht Kopf«, »Der Teufel soll mein Feldwebel sein«,
»Ich hatt einen Kameraden«, »Als Jungen wurden wir Soldaten« und
»Ich ließ ein Mädchen zurück«. Nachdem das Bier eine Zeit lang
geflossen war, hatte Pol y Gelegenheit bekommen, sich die Worte von
»Oberst Krapski« und »Ich wünschte, ich hätte sie nie geküsst«
einzuprägen.
Und dann gab es da noch das Lied »Süße Pol y Oliver«. Ihr Vater
hatte es gesungen, wenn sie als kleines Mädchen gereizt oder traurig
gewesen war, und sie hatte gelacht und Freude daran gefunden,
hauptsächlich deshalb, weil ihr Name darin vorkam. Sie kannte den
Text auswendig, noch bevor sie begriff, was die einzelnen Wörter
bedeuteten. Und jetzt…
Pol y öffnete die Tür. Der Rekrutierungsfeldwebel und sein Korporal
sahen von dem fleckigen Tisch auf, an dem sie saßen, die Bierkrüge auf
halbem Weg zu den Lippen. Sie atmete tief durch, trat an den Tisch
heran und versuchte zu salutieren.
»Was wil st du, Junge?«,
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