Weiberregiment
beobachtete Vögel.
Auf Pauls Bitte hin hatte sie ihm den ganzen Text vorgelesen, der angeblich »Von den Müttern Borograwiens!« stammte, auch den Teil über Helden, und dass es nichts Besseres gab, als für sein Vaterland zu sterben. Das bedauerte Polly jetzt. Paul machte, was man ihm sagte. Leider glaubte er auch, was man ihm sagte.
Polly steckte Brief und Flugblatt unters Hemd und döste wieder ein, bis ihre Blase sie weckte. So früh am Morgen brauchte sie vor dem Abort sicher nicht Schlange zu stehen. Sie griff nach ihrem Rucksack und trat so leise wie möglich in den Regen.
Er kam jetzt größtenteils von den Bäumen, die im heftigen Wind brausten, der durchs Tal wehte. Der Mond verbarg sich in den Wolken, aber das Licht war stark genug, um die Gebäude des Gasthofs erkennen zu können. Fahles Grau deutete darauf hin, dass das, was in Plün als Morgengrauen galt, unterwegs war. Polly fand den für Männer bestimmten Abort und stellte fest, dass er tatsächlich nach Ungenauigkeit stank.
Planung und Übungen hatten sie auf diesen Augenblick vorbereitet. Die Kniehose half ihr. Sie gehörte zur altmodischen Art, großzügig ausgestattet mit Knöpfen, die Klappen öffneten. Und morgens früh, beim Saubermachen, hatte sie viel experimentiert. Kurzum: Polly wusste, dass auch eine Frau im Stehen pinkeln konnte, wenn sie den Details genug Aufmerksamkeit schenkte. Es funktionierte im Abort daheim, bei dessen Konstruktion man von einer gewissen Ziellosigkeit der Gäste ausgegangen war.
Der Wind schüttelte das nasskalte Gebäude. In der Dunkelheit dachte Polly an Tante Hattie, die um die sechzig ein wenig seltsam geworden war und vorbeikommenden jungen Männern immer wieder vorwarf, sie würden unter ihren Rock blicken. Nach einem Glas Wein wurde es noch schlimmer, und sie erzählte immer wieder den einen Witz: »Was macht ein Mann im Stehen, eine Frau im Sitzen und ein Hund mit gehobenem Bein?« Und wenn alle vor Verlegenheit keine Antwort gaben, juchzte sie triumphierend: »Die Hand schütteln!« Und dann krümmte sie sich vor Lachen. Tante Hattie war auch ohne Nuggan eine Abscheulichkeit.
Polly knöpfte ihre Hose voller Freude zu und hatte das Gefühl, einen wichtigen Erfolg erzielt zu haben. Die Tatsache, dass ihre Füße trocken geblieben waren, bestärkte sie in diesem Empfinden.
»Pscht«, sagte jemand.
Zum Glück hatte sie gerade ihre Blase entleert. Panik presste jeden Muskel zusammen. Wo versteckten sie sich? Dies war doch nur ein verdammter alter Schuppen! Sicher gab es einige Nischen, aber allein der Geruch wies mit großem Nachdruck darauf hin, dass der Wald draußen viel besser war. Selbst in einer stürmischen Nacht – mit Wölfen.
»Ja?«, fragte Polly mit zittriger Stimme. Dann räusperte sie sich und wiederholte schroffer: »
Ja?
«
»Du brauchst das hier«, flüsterte die Stimme. In der stinkenden Düsternis sah Polly etwas über den oberen Rand einer Nische aufsteigen. Nervös griff sie danach und berührte etwas Weiches: ein Bündel aus Wolle. Ihre Finger erforschten es.
»Ein Paar
Socken
?«, fragte sie.
»Ja. Trag sie«, sagte die mysteriöse Stimme heiser.
»Danke, aber ich habe selbst welche…«, begann Polly.
Es seufzte in der Dunkelheit. »Nicht an den Füßen. Schieb sie dir vorn in die Hose.«
»Wie bitte?«
»Du hast dort keine Beulen, wo keine sein sollen, und das ist gut so«, erklärte das Flüstern geduldig. »Aber es fehlt dort eine, wo es eine geben sollte. Verstehst du? Weiter unten?«
»Oh! Äh… ich… aber… Ich dachte, es würde niemandem auffallen«, sagte Polly und glühte vor Verlegenheit. Man hatte sie entlarvt! Aber es gab kein Gezeter, keine zornigen Zitate aus dem
Buch Nuggan.
Jemand
half
ihr. Jemand, der sie
gesehen
hatte…
»Es ist eine komische Sache«, sagte die Stimme. »Die Leute bemerken eher das, was fehlt, als das, was da ist. Nur ein Paar, wohlgemerkt. Werd nicht zu ehrgeizig.«
Polly zögerte. »Äh… ist es offensichtlich?«, fragte sie.
»Nein. Deshalb habe ich dir die Socken gegeben.«
»Ich
meine,
dass ich kein… dass ich…«
»Nein, eigentlich nicht«, sagte die Stimme im Dunkeln. »Du machst das ziemlich gut. Du kommst als ängstlicher Junge rüber, der versucht, groß und tapfer zu wirken. Du könntest öfter in der Nase bohren. Ist nur ein Tipp. Nur wenige Dinge interessieren einen jungen Mann mehr als der Inhalt seiner Nasenlöcher. So, und jetzt muss ich dich meinerseits um einen Gefallen bitten.«
Ich habe dich nicht um
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