Weiberregiment
vielen Deserteuren, Feldwebel. Ist es nicht seltsam, dass so viele Soldaten die Seite des Siegers verlassen?«
Polly hantierte energisch mit dem Pinsel. Jackrum zeigte Unbehagen, zum ersten Mal, seit Maladikt Soldat geworden war.
»Aber auf welcher Seite steht er, Herr?«, fragte er.
»Du bist bestimmt nicht dumm, Feldwebel«, sagte Bluse, als hinter ihm Schaum über den Rand des Napfes quoll und zu Boden plumpste. »Verzweifelte Deserteure sind unterwegs. Unsere Grenze scheint so schlecht bewacht zu sein, dass feindliche Kavallerie vierzig Meilen weit in ›unser schönes Land‹ vorstoßen kann. Und das Oberkommando scheint so verzweifelt zu sein – ja,
verzweifelt,
Feldwebel –, dass selbst eine Hand voll unausgebildeter und offen gestanden sehr junger Männer an die Front muss.«
Der Schaum hatte inzwischen ein Eigenleben entwickelt. Polly zögerte.
»Bitte zuerst ein heißes Handtuch, Perks«, sagte Bluse.
»Jaherr. Entschuldigung, Herr. Hab’s vergessen, Herr«, sagte Polly, und die Panik stieg noch höher. Sie erinnerte sich vage an den Friseurladen in Münz, an dem sie oft vorbeigekommen war. Heißes Handtuch aufs Gesicht. In Ordnung. Sie nahm ein kleines Handtuch, schüttete kochendes Wasser darauf, wrang es aus und legte es auf das Gesicht des Leutnants. Er schrie nicht direkt.
»
Aaaaagh
etwas anderes bereitet mir Sorgen, Feldwebel.«
»Jaherr?«
»Die Kavalleristen müssen auf Korporal Strappi gestoßen sein. Wie sonst können sie von unseren Männern erfahren haben?«
»Gut überlegt, Herr«, sagte der Feldwebel und beobachtete, wie Polly Seifenschaum auf Bluses Mund und Nase strich.
»Ich hoffe, sie haben den
pff
armen Mann nicht gefoltert«, sagte der Leutnant. Jackrum schwieg zu diesem Punkt, aber es war ein bedeutungsvolles Schweigen. Der Blick des Feldwebels wurde Polly immer unangenehmer.
»Aber warum sollte ein Deserteur
pff
in Richtung Front
pff
unterwegs sein?«
»Für einen alten Soldaten ergibt das durchaus einen Sinn, Herr. Besonders für einen Politischen.«
»Glaubst du?«
»Verlass dich drauf, Herr«, sagte Jackrum. Hinter Bluse strich Polly das Rasiermesser über den roten Stein. Es war bereits so glatt wie Eis.
»Aber unsere Jungs sind keine ›alten Soldaten‹, Feldwebel. Es dauert
pff
zwei Wochen, einen Rekruten in einen ›Kämpfer‹ zu verwandeln«, sagte der Leutnant.
»Diese sind viel versprechend, Herr«, erwiderte Jackrum. »Ich könnte es in zwei Tagen schaffen.
Perks?
«
Polly hätte sich fast den Daumen abgeschnitten. »Ja, Feldwebel«, brachte sie mit zitternder Stimme hervor.
»Glaubst du, du könntest heute jemanden töten?«
Polly sah das Rasiermesser hinab. Die Schneide glühte. »Ich fürchte, das könnte ich tatsächlich, Herr.«
»Na bitte, Herr«, sagte Jackrum mit einem schiefen Lächeln. »Diese Jungs gefallen mir, Herr. Sind schnell von Begriff.« Er trat hinter Bluse, nahm das Rasiermesser aus Pollys dankbarer Hand und sagte: »Es gibt einige Angelegenheiten, die wir unter vier Augen besprechen sollten, Herr. Ich glaube, Soldat Perks muss sich ausruhen.«
»Natürlich, Feldwebel.
Pas devant les soldats jeunes,
wie?«
»Ja, das auch, Herr«, erwiderte Jackrum. »Wegtreten, Perks.«
Polly ging fort, und ihre rechte Hand zitterte noch immer. Sie hörte, wie Bluse hinter ihr seufzte und sagte: »Dies sind heikle Zeiten, Feldwebel. Die Bürde des Kommandos war nie zuvor so schwer. Der große General Taktikus meinte einmal, in gefährlichen Zeiten müsste der Kommandeur wie ein Adler sein und alles sehen, und gleichzeitig wie ein Falke jedes Detail erkennen.«
»Jaherr«, sagte Jackrum und strich mit dem Rasiermesser über eine Wange. »Und wenn er sich wie eine gewöhnliche Meise verhält, kann er den ganzen Tag mit dem Kopf nach unten hängen und fette Körner picken.«
»Äh… wohl gesprochen, Feldwebel.«
Der Köhler und seine Frau wurden begraben, und es überraschte Polly nicht, dass Reißer bei dieser Gelegenheit ein leises Gebet sprach. Es bat die Herzogin, beim Gott Nuggan Fürsprache einzulegen, damit er den Verstorbenen ewige Ruhe und ähnliche Dinge gewährte. Polly hatte es viele Male gehört und sich gefragt, wie die Sache funktionierte.
Seit dem Tag des brennenden Vogels hatte sie nicht mehr gebetet, nicht einmal, als ihre Mutter gestorben war. Ein Gott, der gemalte Vögel verbrannte, würde keiner Mutter helfen. Ein solcher Gott war kein Gebet wert.
Doch Reißer betete für alle. Reißer betete wie ein Kind, die
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