Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weichei: Roman (German Edition)

Weichei: Roman (German Edition)

Titel: Weichei: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Boltz
Vom Netzwerk:
Kilowattstunde gnädig zu stimmen. Anfänglich schaltete sie abends nur den Stand-by-Knopf am Fernseher aus. Dann zog sie dazu irgendwann den Netzstecker aus der Dose. Mittlerweile
ist sie dazu übergegangen, nachts die Sicherungen für die gesamte Wohnung herauszudrehen. Alles, um am Jahresende 12,53 Euro vom örtlichen Stromversorger zurückerstattet zu bekommen. Dem gegenüber stehen jährliche Rechnungen des Hausarztes von mindestens zweihundertfünfzig Euro für nächtliche Stürze über geöffnete Spülmaschinentüren und achtlos liegen gelassene Schuhe meines Vaters. Vorläufige Bilanz des allabendlichen Sturzspektakels: zwei angebrochene Zehen und eine klaffende Platzwunde an der linken Schläfe.
    Wie gesagt: Dennoch liebe ich meine Mutter.
    Denn im Leben eines jeden Mannes gibt es Zeiten, in denen die gemeine Frau als männervernichtender Vamp erscheint, von dem man besser die Finger lassen sollte. Oder das Wesen Frau erscheint einem ab und an im Gewand der Schlampe. Je nach Lebenslage und Grad der Verzweiflung.
    Nur eine einzige Frau schwebt wie der Heilige Gral der Unantastbarkeit ein Leben lang über allem und jedem: die eigene Mutter.
    Dafür gibt es zwei banale Gründe:
     
    Erstens: Mütter stehen immer und in jeder Lebenslage zu ihren Söhnen. Egal, in welch apokalyptische Situation sich der Junior auch bringen mag. Der warme Schoß der Mutter kennt keine Schuld.
    Ich bin mir daher auch ziemlich sicher, dass Mama bin Laden aus tiefstem Herzen davon überzeugt ist, dass Sohnemann Osama das mit den Flugzeugen in New York gar nicht so gemeint hat. Und es sowieso nur die Schuld von den Nachbarskindern war, die ihn mal wieder angestiftet haben und er nur mitmachen wollte, um halt auch dazuzugehören.
    Zweitens: In den Kochtöpfen einer Mutter köchelt stets irgendwas unglaublich Leckeres.
     
    Gleichzeitig ist die Mutter aber auch das unsexuellste Wesen auf Gottes Erden. Denn genauso stur, wie unsere Mütter immer nur den lieben kleinen Jungen in uns sehen, betrachten wir unsere Mütter als Jungfrauen oder gar geschlechtslos androgynes Wesen. Daher bin ich auch der vollen Überzeugung, die Frucht einer unbefleckten Empfängnis zu sein. Wenn es schon bei Maria und Josef vor zweitausend Jahren ohne Hightech mit der Nummer geklappt hat, warum dann nicht auch bei mir?
    Bis zum heutigen Tag kann und will ich mir nicht vorstellen, dass meine Mutter jemals den Hahn meines Vaters zum Krähen brachte. Und obwohl ich weiß, dass fünfzig Prozent der Frauen Masturbation dem Geschlechtsakt mit ihrem Ehepartner vorziehen würden, schließe ich es ebenso kategorisch aus, dass meine Mutter sich jemals in ihrem Leben als Einhandseglerin betätigt hat.
    Und somit werde ich es natürlich auch erst mal verschweigen, dass es mit Steffi und mir vorbei ist. Schließlich müsste ich dann auch den unschönen Vorfall mit C-Claus erwähnen, was nicht völlig frei von sexuellem Beigeschmack zu schaffen wäre. Ich möchte mich einfach nur für ein paar Stunden in den emotional angewärmten Schoß meiner Mutter flüchten und vielleicht dazu ein Kotelett mit Bratkartoffeln und leckerem Gurkensalat verputzen. Liebe geht eben nun mal durch den Magen  – eine Trennung anscheinend aber auch.
    Es ist Sonntag.
    Familientag.
    Das war er schon immer.
    Ich hasse Sonntage.
    Und das war auch schon immer so.
    Kindheitstraumata.
    Als kleiner Junge wurde ich mit kratzendem Pullunder und Kinderkrawatte ausgestattet, um damit Opa und Oma beim Besuch zu beeindrucken. Doch dort gab es dann erst mal mitleidige Blicke ob meiner hageren Figur, die man nun mal als Fünfjähriger hat. Dann folgten mindestens drei Bleche Zwetschgenkuchen mit Schlag sowie kneifende Liebeserklärungen meiner Oma in die Wange mit dem Hinweis: Junge, iss, damit du was auf deine Knochen bekommst . Du siehst ja richtig krank aus. Das wollte ich natürlich nicht, und so konnten wir das Blechkuchendrama meist nach zwei bis drei Stunden wieder verlassen, da ich die Zwangsverköstigung in sattesten Farbtönen wieder zurück auf ihren Küchenboden kotzte. Seit dieser Zeit reagiert mein Körper bereits mit einem deutlichen Galleeinschuss, wenn ich in den Dunstkreis eines Blechkuchens gerate oder auch nur einen Zwetschgenbaum sehe.
    Die andere Variante des sonntäglichen Schreckens war ein Mittagessen in der Dorfkneipe Zum grünen Baum . Gleiche Kleidung, andere Übelkeitserreger. Stets waberte in der Luft ein Gemisch aus Zigarettenqualm, Bierausdünstungen, fettigem Stammessen und

Weitere Kostenlose Bücher