Weichei: Roman (German Edition)
gleiche Ausrede wie immer benutzen: »Ich habe doch schon beim Kochen und Zubereiten so viel davon gegessen.«
Wenn ich dann irgendwann nach dem Essen meinen Heimweg antreten werde, wird sich die Verabschiedung nach einer perfekt einstudierten und sich niemals ändernden Choreografie abspielen: Mama wird mir beim Verabschieden noch eine prall gefüllte Jutetasche in die Hand drücken. Darin wird sich die komplette Sortimentsauswahl der örtlichen Lebensmittelläden wiederfinden. So werde ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens die drei obligatorischen Dosen Hausmacher Leberwurst mit dem Aufkleber der Metzgerei Paul Roth und dem unvermeidbaren Kommentar überreicht bekommen: »Die isst du doch so gerne.« Und das, obwohl ich bereits seit der Grundschule weder Hausmacher noch in irgendeinem anderen Produktionsverfahren hergestellte Leberwurst auch nur riechen kann. Dazu stehen die Chancen auf ein Zwei-Pfund-Bauernbrot mit Kümmel sowie ein halbes Blech Zwiebelkuchen ausgesprochen gut, da das traditionelle Backhausfest der freiwilligen Feuerwehr am geteerten Ortsmittelpunkt erst gestern sein Ende fand. Und alles nur, um den kompletten Schimmelflokati samt Jutetasche nach neun Tagen in einer von gewaltigem Ekel getriebenen GSG-9-Aktion wieder aus meinem Kühlschrank zu bergen und in der Öko-Tonne zu entsorgen.
Ob Steffi auch so geworden wäre und ich mir ein eigenes Gen hätte zulegen müssen? Ein Mach-ich-Mor-Gen oder vielleicht ein Ich-bleib-heute-einfach-mal-im-Bett lie-Gen ?
Bei dem Gedanken daran muss ich unweigerlich schmunzeln und sehe dazu einige Personen vor meinem inneren Auge applaudieren: Magdalena Neuner, Jens Weißflog und einen italienischen Friseur namens Ponza.
9
Ein Südseeatoll von Steffi
E s war eine furchtbare Nacht, in der ich kaum schlafen konnte. Erst hatte Hubsi nebenan wieder lauten Herrenbesuch, und dann rumorte mein Magen nach dem ganzen Essen bei meiner Mutter. Es ist Montagmorgen, und ich bin seit einer halben Stunde dabei, meinen Körper davon zu überzeugen, sich zumindest in groben Zügen aus dem Bett Richtung Arbeit zu rollen. Lust darauf verspüre ich weiterhin nur peripher, aber immerhin suggeriert mir mein Job eine Illusion von Alltag und Vertrautheit. Ich wälze mich bis an den äußersten Rand der Matratze, wo jedoch mein Gesicht vom haarigen Hintern des grünen Ogers gebremst wird.
»Shrek, willst du nicht heute für mich an die Tanke?«
Doch mein flauschiger Freund scheint auch eher ein Arbeitsmuffel zu sein. Ich kann ihn verstehen. Ich würde auch lieber mitten in einem schön bewachsenen Wald meine tägliche Arbeit verrichten, als in einer dieselgeschwängerten Luft genervte Taxifahrer abzukassieren.
»Okay, ist ja schon gut. Ich geh ja schon.«
Nach Blasenentleerung und zwei Tassen Kaffee ziehe ich mich an und schleppe meinen trägen Körper von der Küche in Richtung Haustür. Doch vorher entdecke ich, dass die eine Ameise wohl Verstärkung geordert hat. Diesmal haben sich die Krabbler zu gut einem Dutzend vor meinem Fenster zu einer Sitzdemo versammelt. Nur scheinen sie alle tot zu sein.
Ich verlasse den Ort des Ameisenmartyriums und kehre nur Sekunden später mit einem Staubsauger im Schlepptau zurück. Und wusch, wie auf den Berliner Demos zum ersten Mai, fege ich die Sitzblockaden erbarmungslos weg.
»Legt euch nicht mit mir an. Ich habe euch einmal rausgeschmissen und werde es immer wieder tun.«
Mit den Worten Gehet hin in Frieden verstaue ich den Staubsauger wieder auf seinem angestammten Platz. Bereits halb aus der Tür, unterbricht das Telefon auch meinen zweiten Fluchtversuch. Genervt drehe ich um und nehme den Hörer ab.
»Ja?«
»Herr Süßemilch?«
»Ja, wer soll wohl sonst in meiner Wohnung ans Telefon gehen?«
»Hier ist die Praxis von Doktor Brandtner. Sie hatten sich bei uns Blut abnehmen lassen. Sie wissen schon: für das von Ihnen gewünschte große Blutbild.«
»Äh, ja«, versuche ich, mich wieder zu beruhigen. »Ich erinnere mich. Was ist damit?«
»Kleinen Moment, ich stelle Sie mal zu Doktor Brandtner durch.«
Die Zwischenmusik mit dem Stück »Mack the knife« von Frank Sinatra erklingt. Ein seltsames Lied für einen Arzt, denke ich noch und warte auf die Stimme des Praxishäuptlings. Doch das scheint sich etwas länger zu ziehen. Frankie singt auch die zweite Strophe ohne Unterbrechung souverän runter, und ich mache mir Gedanken, ob es einen bestimmten Grund für den Anruf gibt. Aber was sollte ich schon
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