Weichei: Roman (German Edition)
fragen.
»Dreiundzwanzig.«
Jetzt weiß ich es. Er ist das Ebenbild von dem Jungen auf der Kinderschokoladenpackung.
»Und wie kommt man in so jungen Jahren an die Position eines Filialleiters?«
»Durch gute Arbeit. Ich bin jetzt seit vier Jahren hier. Mittlere Reife, Ausbildung und seit drei Monaten stellvertretender Filialleiter.«
»Ach.«
»Ja.«
Eine kurze Pause entsteht zwischen uns, in der wir beide nicht sicher sind, ob wir dieses Gespräch wirklich weiterführen wollen. Schließlich beende ich die erdrückende Stille mit einer für die Situation und den Ort geradezu philosophischen Aussage.
»Ich suche ein Handy.«
»Ach.«
»Ja.«
»Na, da könnte ich Ihnen vielleicht helfen. Irgendwas Bestimmtes?«
»Ich hatte von meinem Anbieter das Sony Ericsson X10 mini angeboten bekommen. Das würde ich mir gerne mal ansehen.«
»Das neue Sony Ericsson …«
»Ja.«
»Kleinen Moment«, antwortet das Bübchen und verschwindet durch einen kleinen Vorhang ins Lager. Kurz darauf kommt er mit einem Karton zurück und stellt ihn vor mir auf den Tresen.
»So, das Sony Ericsson Xperia X10 mini. Ein Android-Smartphone, mit fünf Megapixel Kamera und Vierfarbdisplay …«
»Ach.«
»Ja.«
»Und, ist das gut?«
»Absolut. Außerdem verfügt es über eine große Speicherkarte und eine lange Stand-by-Zeit.«
»Ach.«
»Ja.«
Er reicht es mir, und ich wiege es wie bei einem Erbsenschätzwettbewerb in der Hand.
»Ganz schön leicht. Und so klein.«
»Das soll es auch sein. Ist momentan das kleinste Handy der Welt. Sehr beliebt.«
»Ach.«
»Ja.«
»Wenn ich mal kurz dürfte…« Er nimmt mir das Mobiltelefon aus der Hand, legt eine SIM-Karte ein und zeigt mir einige Anwendermöglichkeiten, die ich mit jedem einzelnen Wimpernschlag gleich wieder vergesse. Natürlich sage ich ihm das nicht.
»Und hier können Sie auch den polyphonen Klingelton verändern oder ein Lied Ihrer Wahl downloaden.«
»Ach.«
»Ja. Warten Sie, ich ziehe Ihnen mal einen Song per Bluetooth rüber.«
»Ach, das geht?«
»Ja klar, dauert nur einen Moment.«
Ich muss zugeben, dass ich in der Welt des digitalen Zeitalters noch nicht so recht den Wecker habe klingeln hören. Dafür klingelt etwas anderes, nämlich das Sony Ericsson X10.
»Hier.« Der Verkäufer hält mir das Handy entgegen. »Ich habe es jetzt mal so eingestellt, dass das Telefon erst viermal vibriert und danach viermal klingelt, bevor die Mailbox drangeht.«
Herr Steinhöfer drückt zwei Tasten. Sekundenbruchteile später vibriert mein Handy wie versprochen viermal und lässt Xavier Naidoo ein polyfones »Dieser Weg« singen.
Ich bin begeistert.
Herr Steinhöfer auch.
»Sorry, bin ein Xavier-Naidoo-Fan.«
»Ach.«
»Ja. Mögen Sie ihn auch?«
»Geht so.«
»Na ja, Sie können den Klingelton und alle anderen Einrichtungen natürlich jederzeit ändern. Für die Mailbox müssen Sie nur bei Ihrem Provider anrufen und gegebenenfalls im Internet mal ein Update downloaden.«
»Ach«, sage ich, und mir wird klar, dass ich niemals im Leben etwas von meiner Mailbox werde abhören können.
»Ja, alles kein Problem, oder?«
»Nö.«
»Also?«
»Also was?«
»Was sagen Sie zum X10. Wollen Sie es haben?«
Die Technik des neuen Handys erschlägt mich. Mein altes hat seinen Dienst immer zuverlässig geleistet, obwohl es keines dieser Schnickschnacksachen konnte. Anstatt Naidoo im polyfonen Dreiklang klingelte mein Handy ein dröges Für Elise . Und anstelle von Gigabytenden Speicherkapazitäten benutzte ich hauptsächlich die Tasten, um zu telefonieren. Außerdem hätte ich fünf Euro im Monat an Zusatzkosten. Dann sehe ich jedoch Steffis Gesicht in Zornesröte vor mir, wie sie auf mich einschimpft und mir das Handy ausreden will. Und Til Schweiger musste bestimmt nie in seinem Leben darüber debattieren, ob er sich ein neues Handy kaufen kann. Und was Mister Keineihase kann, kann ich doch wohl schon lange.
»Na klar«, sage ich deshalb selbstbewusst zum Kinderschoki-Bürschchen. »Auf jeden Fall nehme ich das.«
14
Herr der Ameisen
A m nächsten Tag habe ich frei. Das passt gut, denn schließlich erwarte ich den Anruf von Jutta. Sie wollte mir ja mitteilen, ob ich körperlich unversehrt aus der Liaison mit Steffi gekommen bin oder eine nette kleine Erinnerung in Form einer Geschlechtskrankheit mein Eigen nennen darf. Es ist kurz vor zwölf. Um mir die Nervosität und Warterei zu vertreiben, beschließe ich, den mittlerweile zum festen Ritual gewordenen
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