Weichei: Roman (German Edition)
Prostatavorsorge oder der Urinprobe?«
»Heute wegen der Urinprobe«, ertönt die Antwort mit brüchiger Stimme. »Soll Mittelstrahl sein, das bekomme ich zu Hause nicht so hin.«
»Kein Problem. Nehmen Sie doch noch einen Moment Platz, die Kabine ist gerade besetzt. Wird aber bestimmt jeden Moment frei.«
Vielen Dank. Wie soll ich mir da einen zeitnahen Orgasmus zaubern, wenn mir Herr Bohlmann im Nacken sitzt? Ich schaue mich um. Dann kommt mir wenigstens schon mal etwas: nämlich eine Idee. Schnell nehme ich mir ein Kleenex aus der Box und forme daraus zwei Pfropfen, die ich mir in die Ohren stecke. Zwar stehen mir die Papiertücher wie die Löffel eines Feldhasen vom Kopf ab, aber hier gibt es ja keinen Schönheitspreis zu gewinnen.
Der erste Sinn wäre damit schon mal ausgeschaltet. Mein Hirn kann ich mir leider nicht mit einem Kleenex stumm schalten, da bedarf es knallharter psychologischer Kriegsführung. Zwei Schalter befinden sich neben der Tür. Ich drücke den oberen, und das Licht mitsamt dem Kachelpanorama erlischt vor meinen Augen. Zweiter Sinn ausgeschaltet.
Okay.
So weit, so gut.
Das sollte helfen.
Dann setz ich mich auf den heruntergeklappten Toilettendeckel und beginne mit meinem zweiten Repetierversuch.
Okay.
Besser.
Ja.
Deutlich besser.
Könnte klappen.
Ich rufe mir die erotischsten Bilder der letzten Monate vors innere Auge in der Hoffnung auf stabilisierende Reaktionen in meinem primären Geschlechtsorgan. Und tatsächlich. Irgendwo zwischen Megan Fox und Magdalena Neuner im liegenden Anschlag reagieren meine Kapillargefäße im Großraum Hüft-Leistenbereich und öffnen dem Blutstau ihre Pforten. Es ist nicht gerade eine Erektion der stählernen Generation, aber immerhin so solide, dass man damit arbeiten kann.
Und genau das tue ich.
Ich arbeite.
Ich gebe alles.
Ich packe Megan Fox zur Unterstützung sogar neben Magdalena Neuner in einen hautengen Biathlonrennanzug und lasse sie nebeneinander die steilsten Anstiege hinaufhecheln. Wir drei atmen alle schwer, aber rhythmisch, gehen an unsere körperliche Leistungsgrenze, und als wir schließlich auf die letzte Gerade zusteuern, setzen wir gemeinsam zum Zielsprint an. Megan schiebt sich an Lena um eine Brustbreite vorbei. Nur noch wenige Meter bis zur Ziellinie, meine Muskeln krampfen und ich taste im Dunklen hastig nach dem Becher. Gerade noch rechtzeitig erwische ich ihn und lenke den größten Teil des Zieleinlaufs in das Gefäß.
Sieg!
Sieg!
Sieg!
Im Anschluss verharre ich schwer atmend noch einen Moment,
um zu mir zu kommen, den Erfolg zu genießen und glaube, sogar mein Herz klopfen zu hören.
Ich muss lächeln.
Unter diesen Umständen habe ich wirklich meine Männlichkeit bewiesen. Auch wenn es ziemlich blöd aussehen muss, sich mit heruntergelassener Hose und Kleenex in beiden Ohren in einen kleinen Plastikbecher zu ergießen. Aber ich habe es geschafft. Herr Bohlmann und der gesamte ehemalige Matheleistungskurs der K 12 werden stolz auf mich sein.
Na ja, wie auch immer. Ich muss weiter. Raus aus dem Irak. Meine Hand drückt den Lichtschalter, doch es bleibt dunkel. Nein, oder? Nicht jetzt, denke ich mir und lasse den Kopf in den Nacken sinken. Jetzt muss ich auch noch im Finsteren den Rest abwischen und mir die Hände waschen.
Just in diesem Moment und mit einer plötzlichen Helligkeit jenseits der Äquatorsonne werde ich unsanft aus meinen Gedanken gerissen. Das Licht flackert auf, sodass ich reflexartig meine Augen zusammenkneife. Zunächst denke ich an eine verzögerte Reaktion der Neonröhre, doch dann erkenne ich die Hand, die mich ins Scheinwerferlicht setzt.
Jutta.
Sie steht mit weit aufgerissenen Augen neben mir und schaut mich entsetzt an. Hinter ihr hat sich Herr Bohlmann postiert und blickt ebenfalls neugierig zu mir herein.
Ich verfalle in eine Art Sekundenstarre. Mit heruntergelassener Hose. Zwei Kleenex-Antennen, die aus den Ohren sprießen, und einem bekleckerten Plastikbecher in der Hand.
Nach einer gefühlten Woche reaktiviert sich mein Körper, und ich zucke beschämt zusammen, ziehe mir die Hose so gut es geht nach oben und schüttle den Kopf.
»He«, stoße ich aus. Doch die Empörung klingt eher weinerlich.
Ich sehe, wie Jutta etwas sagt, verstehe sie aber nicht. Richtig, die Kleenextücher. Erst als ich mich meiner provisorischen Ohrenstöpsel entledige, höre ich sie.
»Sorry, Robbie. Das war keine Absicht. Aber du hast den Notknopf gedrückt.«
Notknopf? Welcher Notknopf? O nein…
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