Weichei: Roman (German Edition)
und drücke sie einem verstörten Hubsi in die Hand.
»Aber i braaach doch nur …«
»Geschenkt, Hubsi … ist geschenkt«, rufe ich noch und werfe hinter mir die Tür ins Schloss. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, jage ich zurück zu meinem Schafott, denn ich ahne etwas Furchtbares. Aus dem Innenleben meines Staubsaugers dringt ein unverwechselbares Brummen, das den Vibrationsalarm eines ankommenden Gesprächs signalisiert. Laut Helge Steinhöfer für mich das sichere Zeichen, dass dem viermaligen Vibrieren ein viermaliges Klingeln folgen wird, bevor sich die Mailbox einschalten und mich für mindestens vierzehn Tage in Unwissenheit über meine Gesundheit zurücklassen wird. Und zweimal hat es schon gebrummt.
Und jetzt – das dritte Vibrieren.
Nun sind Kreativität und Entschlussfreude gefragt. Was will ich im Leben? Gewinner oder Verlierer sein? Die Entscheidung fällt instinktiv und schnell. Wie ein Rodeocowboy werfe ich meinen Staubsauger mit einem einzigen, aber gekonnten Wurf auf den Rücken und befreie ihn von der hinderlichen Kabelage, die sich mittlerweile um das Gerät gebildet hat.
Das vierte Vibrieren.
Jeder Handgriff läuft automatisiert und mit chirurgischer Präzision. Ich öffne das Innenleben und sehe das Herz des Geräts, den Beutel, vor mir.
Das erste Klingeln. Xavier Naidoos Stimme dringt an mein Ohr und intoniert die erste Zeile seines Songs.
»Dieser Weg wird kein leichter sein …«
Hastig sehe ich mich um. Als Erstes bietet sich mir der alte
Röhrenfernseher auf der TV-Bank an, der sicher schwer genug wäre, den Beutel mit einem gezielten Wurf zum Platzen zu bringen. Ein skurriler Gedanke, den ich nicht weiterverfolge. Dann erkenne ich als zweite Option das Brotmesser in unmittelbarer Griffweite im IKEA-Messerblock HAKE stecken. Ein Sidestep nach rechts, und das blitzende Metall der Titanklinge funkelt drohend in meiner Hand. Robert the Ripper.
Das zweite Klingeln jammert an meinem Ohr.
»Dieser Weg wird steinig und schwer …«
Ohne zu zögern, ramme ich wie der Schlächter von London die Klinge mit einem Aufschrei in den bauchigen Wulst des Beutels. Um mich herum eine gewaltige Verpuffung aus Staub, Ameisenkadavern und nicht näher zu bestimmenden Kleinstpartikeln.
Das dritte Klingeln. Verdammt, singt der irgendwie schneller als sonst? Der ist doch sonst so tranig …
»Nicht mit vielen wirst du dir einig sein …«
Inmitten der Staubwolke fahren meine Hände wagemutig ins Innere des geöffneten Torsos.
Das vierte und ultimativ letzte Klingeln.
»Doch dieses Leben bietet so viel mehr …«
Jetzt oder nie.
Meine Fingerspitzen ertasten etwas Hartes. Es ist jedoch nur ein Zwei-Euro-Stück für Joey’s Pizza , und ich lasse es enttäuscht aus meinen Händen gleiten. Dann etwas Blankes. Kunststoff. Und nur Bruchteile später transplantieren meine Hände ein Sony Ericsson Xperia X 10 mini samt Xaviers letzten Worten zurück ans Tageslicht. Hoffentlich kann ich das Gespräch noch rechtzeitig annehmen.
»Hallo?«, melde ich mich mit einer Stimme, die sowohl gehetzt als auch stolz klingt. Schließlich habe ich gerade wie
ein Löwe um mein weiteres Leben gekämpft. Ich stehe auf, und Staub rieselt an mir herunter. Dabei streiche ich mir eine tote Ameise von der Nasenspitze, als könne mit diesem einzigen Wisch alles wieder gesäubert und in Ordnung gebracht werden.
»Robbie? Hi, ich bin’s. Jutta. Wollte gerade wieder auflegen. Stör ich dich gerade?«
»Stören? Du mich?« Ich gehe zwei Schritte und sehe dabei mein Spiegelbild in der Glastür reflektieren. Etwas Mumienhaftes umgibt mich. »Nein, überhaupt nicht. Hab nur gerade Staub gesaugt und deswegen das Klingeln nicht gleich gehört.«
Beim heiteren Arbeitsplatzraten würden wohl die Antworten: Speedwayrennbahn, Wüstenexpedition und Unter Tage im Kohlebergwerk am häufigsten genannt werden.
»Aha. Okay. Wollte dir nur kurz das Ergebnis durchgeben.«
»Und?« Ich schlucke ängstlich und merke, wie meine Kehle mit einem Mal staubtrocken ist. Was nicht nur an dem gesprengten Staubsaugerbeutel liegt.
»Kannst ganz beruhigt sein, Robbie. Es ist alles in Ordnung, der Verdacht hat sich nicht bestätigt.«
»Danke, Jutta. Mensch, ich könnte dich echt knutschen. Und noch mal sorry wegen gestern.«
»Ach, schon okay. Zumindest haben wir hier in der Praxis in den Wochen nach dem Urlaub sicher noch ’ne Menge zu lachen.«
Kurz überlege ich, ob ich ihr sagen soll, dass mir das aber nicht recht ist, wenn
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