Weichei: Roman (German Edition)
wir nicht direkt auf seinem Heimweg liegen, kommt er sowohl vor als auch nach seiner Arbeit auf Bier und Korn vorbei. Irgendwie mag ich ihn, denn er hält einfach wohlerzogen seine Klappe beim Saufen. Ein nicht zu unterschätzendes Attribut, das man nicht von all unseren Alk-Junkies behaupten kann.
Denn dann hätten wir da noch Henning, den alle nur Henninger nennen, weil er früher bei der Henningerbrauerei gearbeitet hat und sich heute der Vernichtung deren Gerstenprodukts verschrieben hat. Das ist seine Art, sich an seinem ehemaligen Arbeitgeber für seine Entlassung zu rächen. Er nervt komplett durch schlechtes Benehmen und blöde Sprüche bezüglich unserer Foodcorner. Dennoch kommt er jeden Tag aufs Neue vorbei, bestellt Currywurst, Pommes und Bier. Dazu kauft er sich seine Tagesration Kippen, die immer aus zwei Päckchen HB und einem Bigpack West Light besteht. Zu guter Letzt gibt es noch eine schöne Portion geistigen Dünnpfiff als Sahnehäubchen obendrauf. Henninger ist außerdem Gelegenheitsfahrer bei einer Offenbacher Spedition, trägt die dünne Haartolle auf Sechzigerjahre gegelt, und in seiner Nase wohnt ein Glühwürmchen. Jedenfalls leuchtet sie so.
Rolf hat seinen Stammplatz bereits während Silkes Dienst bezogen und ist Henninger schon mit drei Bier voraus. Aber durch das Fenster sehe ich schon, wie sich dessen Fahrrad ächzend die kleine Anhöhe hochschiebt.
»Gehab disch wohl, mein Libber.« Die Schiebetür schließt sich wieder, und Henninger leuchtet sich mit seiner Nase den Weg zu mir nach vorn.
»Abend, Henninger.«
Bei ihm verzichte ich mal ausnahmsweise auf unsere Begrüßungsfloskel Schön, Sie bei OIL! zu sehen . Er würde mich wahrscheinlich nur verstört anschauen und fragen, ob ich sie noch alle hätte. Das Sätzlein lassen wir sonst bei jedem Gast los und meinen es sogar bei dem Großteil der Leute so.
»Isch krisch so ein’ geschnittenen Periodenlümmel«, deutet er auf eine der Bratwürste in der Glasauslage, die dort schon seit fünf Stunden einen langsam-qualvollen Sauna-Dürretod sterben. Unsere Lebensmittel sind ansonsten aber frisch und meist gut genießbar. Sie bilden sogar einen Großteil meiner eigenen Nahrung. Aber Henninger braucht halt einfach etwas zum Meckern. Und als guter Dienstleister lasse ich auch das über mich ergehen. Heute also wieder mal der Periodenlümmel. Okay. Dieser Begriff nimmt aber nur Rang drei von Henningers Currywurstbezeichnungen ein. Auf den Bronzerang verdrängt von Bottroper Schlemmerplatte und Roter-Rotz-Riemen an OILschen Fettstäbchen. Immerhin bietet Henninger ein Mindestmaß an Kreativität.
»Unn dann nehm isch noch…«
Sag es einfach. Nur einmal, bitte. Ganz flüssig und ohne erst eine gefühlte Ewigkeit zu glotzen: zwei Päckchen HB und ein Bigpack West Light, die eigentlich schon seit Jahren Silver heißen, aber das ignoriert Henninger mit der Aussage, dass er ja was Leichtes rauchen und keine Silbermine in seinen Lungenflügeln eröffnen will. Doch Henninger leuchtet mit seinem Glühwürmchen das gesamte Kippenregal ab, als wäre gerade die Mauer gefallen und das Angebot des Klassenfeinds breite sich in diesem Moment das erste Mal in seiner gewaltigen Vielfalt vor seinen Augen aus. Dabei wippt sein Kopf von einer Seite auf die andere. Er bläst seine Backen auf, als würde er wirklich überlegen, welche Marke er nehmen solle. Vielleicht will er ja tatsächlich mal was anderes probieren.
Warum auch nicht? Marlboro und Lucky Strike pressen ihr Tabak-Teergemisch ebenfalls ganz passabel zu Pappglimmstängeln zusammen.
»… zwei Päksche HB und ein West Leischt Bigpack.«
Wäre ja auch zu schön gewesen. Dieses Gelaber nervt mich einfach kolossal. Am liebsten würde ich ihm meinen MuscleMaster X 2000 um das Glühwürmchen wickeln und auf maximale Leistungsstufe hochdrehen, nur dass er einmal seine Klappe hält. Stattdessen kassiere ich ab, reiche Kippen und den Periodenlümmel über den Tresen, und Henninger greift sich ein Bier aus dem Kühlfach. Es werden vier bis acht folgen; entgegen seiner Zigarettenbestellung ist Glühwürmchen hier wahnsinnig flexibel.
Henninger prostet Rolf zu, und nachdem er die erste Flasche halb geext hat und mit dem Spruch »Alles raus, was keine Miete zahlt«, einem mächtigen Rülpser die Freiheit geschenkt hat, schiebt er sich Bier und Wurst in den Rachen, dass es jeder Würgeschlange Respekt abfordern würde.
»Schmeckt’s?«, rufe ich ihm zu, nur um zu sehen, ob er neben dem
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