Weichei: Roman (German Edition)
klammheimlich anfühlt, sondern sich eher großkotzig wie ein Kringel Fleischwurst von Metzger Paul Roth über meinen Gürtel wölbt.
Warum nicht?, gestehe ich mir ein und rüste mich mit dem kompletten Set der stromdurchlässigen Pads aus. Und da ich ja ein zweites Set dazubekommen habe, klatsche ich mir die restlichen Klebestreifen auch gleich an den Körper. Das Ganze geht einfacher als gedacht. Pads befeuchten, auf die Haut kleben, fixieren und fertig. Waden, Bauch, Hüfte, Bizeps und Trizeps sowie ein fachmännisch nicht ganz korrekt angebrachtes Pad am Nackenbereich lassen mich wie einen Eishockeyspieler vor dem Stanley-Cup-Finale aussehen. Aber wenn schon, denn schon. Ein kleiner Controller ist ebenso beigefügt, den ich mir mithilfe eines Gürtels am Steiß befestige. Man soll sich damit ja auch bewegen können.
Schauen wir mal.
Bei Stufe eins glaube ich zuerst noch, dass das Gerät eventuell einen Transportschaden hätte, weil ich rein gar nichts
spüre. Bei Stufe zwei jedoch breitet sich ein angenehmes Kribbeln unterhalb der Pads aus. Der MuscleMaster X 2000 verfügt insgesamt über fünf Stufen, und ich entscheide mich für Stufe drei. Dabei kann ich mich noch normal bewegen, während ich jedoch die einzelnen Kontraktionen der Muskulatur intensiv spüre. So präpariert, kann ich einen ersten Testlauf am Arbeitsplatz beruhigt angehen und vielleicht am Abend schon Ergebnisse erkennen.
»Okay, du hast ja recht.«
Ich komme pünktlich zum Schichtwechsel an die Tankstelle. Meine Kollegin Silke nimmt ihre Kassenlade heraus, und ich setze meine eigene Wechselgeldkasse stattdessen ein.
Silke ist nicht das, was man landläufig eine Naturschönheit nennen würde. Sie besticht eher durch ihre menschlichen Werte wie Ehrlichkeit und Offenheit. Und zwar so, dass es auch manchmal wehtut. Aber sie ist eine Person, die mir in den letzten Jahren ans Herz gewachsen ist.
»Dass ich mein Studium noch nicht zu Ende gebracht habe und stattdessen nebenbei an der Tankstelle jobbe, ist nicht das, was sich Steffi gewünscht hat«, führe ich mein Klagelied weiter aus, während sich La-Ola-förmige Muskelzuckungen unter meiner grünen OIL!-Thermoweste abspielen. Auch wenn Silke es nicht merkt, ich trainiere ja nebenbei.
»Schön, Sie bei OIL! zu sehen«, begrüßt Silke die nächste Kundin mit unserem Standardsätzchen. Dann wendet sie sich wieder mir zu. »Du jobbst nicht nebenbei, du hast hier einen 40-Stunden-Job mit Schichtdienst und schlecht bezahlten Wochenenddiensten. Und von der Uni kennst du auch nur noch den Weg zur Mensa, weil du dort billig essen kannst.«
»Na ja, wenn ich aber erst mal genug Kohle verdient habe…«
»Wenn-ich wohnt in der Hätt-ich-Straße . Vergiss es, du bist stinkfaul. Ich hätte auch mit dir Schluss gemacht.«
Hättest du nicht, antworte ich in Gedanken und spüre, wie sich meine linke Wade unter Strom zusammenzieht. Außerdem ist Silke nur neidisch. Sie wäre froh, wenn sie nur in dem Dunstkreis eines Mannes wie mir atmen dürfte. Außerdem hat Steffi nicht mit mir Schluss gemacht. Ich wette, mittlerweile bereut sie es schon. Aber das werde ich Silke nicht sagen. Die Umstände, warum Schluss ist, werde ich für mich behalten.
»Sie hat nicht Schluss gemacht.«
»Nee, verstehe. Der Pilot ist nur auf ihr notgelandet. Mann, der Typ hat seinen Jumbo in ihren Hangar geschoben.«
Ich zucke zusammen. »Woher weißt du das?« Doch im nächsten Moment weiß ich die Antwort. »Emile, diese Labertasche. Den werde ich mir noch vorknöpfen.«
»Na ja, dein Auftritt neulich abends mit der Polizei hat einige Fragen aufgeworfen. Da musste ich doch nachfragen. Ich mach mich jetzt los, schönen Dienst noch.«
»Ja, ciao«, verabschiede ich Silke. Wir wechseln die Wechselgeldkassen, und ich nehme meine Arbeitsposition ein, die ich auch in den nächsten sechs Stunden nur unwesentlich verändern werde. An einer Tankstelle passieren halt einfach keine unvorhergesehenen Dinge, auf die man spontan reagieren müsste. Ein Auto zu betanken, stellt nur die wenigsten Menschen vor eine unlösbare Aufgabe. Auch das Bezahlen von Kaugummis beherrscht der Großteil unserer Kunden relativ sicher.
Die meisten Kunden kenne ich bereits seit Jahren, und sie finden bei Wind und Wetter den Weg zu ihrer Promilletränke. Deutschland säuft auch bei widrigsten Temperaturen.
Besonders zwei treue Kunden finden täglich den Weg zu ihrer ganz persönlichen Zapfsäule.
Rolf. Er arbeitet bei der Deutschen Bahn, und obwohl
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