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Weichei: Roman (German Edition)

Weichei: Roman (German Edition)

Titel: Weichei: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Boltz
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ist denn hier heute los? Nicht nur, dass sich die meisten Frauen mit ihren weißen Blusen unter hellgrauen oder anthrazitfarbenen Pullundern samt dazu passenden Perlenketten und Ohrsteckern ebenso erstaunlich wie erschreckend ähnlich sehen. Nein, noch imposanter sind die Blicke ihrer Begleiter mit ihren Dow-Jones-Index-Augen, die wie ein Börsenbarometer hinter den Designerbrillen rauf- und runterwandern. Dazu tragen sie farblich perfekt zu ihren Frauen abgestimmte Ensembles, bestehend aus weißem Hemd unter hellgrauem oder anthrazitfarbenem Pullover. Doch das ist bei Weitem noch nicht das Schlimmste: Statt der üblichen Bestuhlung an Tischen sind die Stühle heute in Reihen aufgeteilt und richten sich zu einer Art Bühne aus, auf der vier Sessel platziert stehen, auf denen Bewertungstafeln liegen. Das sieht nicht nach leckerem Essen aus.
    »Wird hier für Das perfekte Dinner gedreht?«, frage ich Jana vorsichtig.
    »Nein, viel besser. Ich habe dich für den Weintesterwettbewerb angemeldet. Der feinste Gaumen Frankfurts wird heute gekürt, und du bist einer der vier Kandidaten. Ich kenne den Chef vom Destino, und er hat dich kurzfristig noch auf die Liste gesetzt. Hammer, oder?«
    »Ja. Hammer.«
    »Gern geschehen.«
    »Danke«, stottere ich mit einem seltsamen Lächeln, das an wiehernde Pferde erinnert.
    Als ich noch überlege, wie ich mich aus dieser Situation befreien kann, legt sich mir bereits eine Hand auf die Schulter, und ein Kölner Dialekt ertönt hinter mir.
    »Sie müssen der Robert Süßemilsch sein, macht Ihnen doch nischts aus, wenn wir uns duzen, oder?«
    Ich schaue in das Gesicht von Jean Pütz. Er ist es leibhaftig und moderiert die ganze Veranstaltung.
    »Ähm, nein…«
    »Jut, isch bin der Jean.«
    »Angenehm.«
    Wir reichen uns die Hand, und ich lächele Jean verschüchtert an.
    »Jut, dann legen wir auch gleisch los, Herr Süßemilsch.«
    Wie jetzt, duzen oder nicht, will ich gerade noch fragen, als er schon wieder verschwunden ist und kurz darauf mit einem Mikrofon die etwa hundertzwanzig Gäste begrüßt. Jana nimmt mir nicht nur die Jacke, sondern auch jegliche Hoffnungen ab. Dann schiebt sie mich nach vorn zur Bühne, wo wir alle namentlich vorgestellt werden.
    Als ich Jana damit beeindrucken wollte, dass ich ja so unglaublich weltmännisch sei, hätte ich vielleicht mein übertriebenes Blenden spätestens beim Thema Weltpolitik beenden sollen. Aber nein, ich musste ja noch einen draufsetzen
und von meinem begnadeten Gaumen schwärmen, mit dem ich schon die herrlichsten Weine dieses Erdballs verkostet hätte. Damit hatte ich ihr die Tür für eine, wie sie zumindest glaubte, tolle Überraschung geöffnet, die mir große Freude bereiten sollte.
     
    Ich nehme also in der Reihe der Frankfurter Hobbysommeliers Platz. Wenigstens bin ich als Letzter in der Reihe der vier Experten eingeteilt. Trotzdem: ein Scheißgefühl, denn ich habe nicht einmal den Hauch einer Ahnung von Wein. Aber mir bleibt noch nicht einmal Zeit für einen ausgiebigen Anfall Selbstmitleid. Denn schon geht es los, und Jean Pütz tritt vor die Nachwuchsgaumen Frankfurts für die erste Runde der Verkostung.
    »Wir bejinnen mit einem vorzüglischen Schaumwein, der sisch ideal als kleiner Jaumenöffner anbieten tut.«
    Schaumwein also  – oder wie mein Henninger an der Tankstelle immer sagt: »Nuttenbrause«. Die Flasche wird den Zuschauern präsentiert, die allesamt ehrfürchtig nicken. Asti spumante scheidet wohl aus, das würde keinen vom Stuhl hauen. Und damit endet leider auch schon mein Fachwissen in diesem Bereich.
    Jedem von uns wird ein Gläschen gefüllt und zur Kostprobe gereicht.
    Ich weiß nicht, ob es meine Nervosität ist oder mein Durst. Jedenfalls setze ich das Glas an und trinke es in einem Zug aus. Ist ja schließlich eine Weinverkostung und der Sekt wohl so ’ne Art Begrüßungstrunk. Tut gut. Und tatsächlich beruhigt es mich sogar ein wenig. Na dann mal los mit dem Wein.
    Aber… falsch gedacht, Robert. Die Prickelbrause gehörte wohl doch zum offiziellen Programm, denn meine Mitstreiter
sind immer noch dabei, das Glas zu inspizieren. Und jetzt riechen sie auch noch daran. Also wirklich, so was macht man doch nicht, oder? Die werden uns hier wohl keine verdorbenen Getränke anbieten. Oder schmutzige Gläser reichen.
    Dann nippen meine drei Kollegen und schlürfen den Inhalt aus dem Glas. Und so was will der Genießergaumen Frankfurts werden. Das Einzige, was die vorab mal genießen sollten, ist ’ne

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