Weichei: Roman (German Edition)

ich jedes einzelne Wort von ihnen.
    Der Wein storniert nicht nur hinten raus, sondern hat auch den beschriebenen unglaublich cremigen Abgang mit erschreckend intensiver Säure im schönsten schimmernden Zwiebelton. Und tatsächlich: Noch Stunden später vibriert er mit einem holzigen Raucharoma im Nachhall.

26
Ein Kreuzschraubendreher hinter dem Auge
    E ine gänzlich neue Art von Kopfschmerz weckt mich am Morgen mit einem unnachahmlichen Hammer, der aus feinstem Schwermetall geschmiedet wurde. Hieß es immer: Bier auf Wein, das lass sein, muss ich nun erkennen, dass ein reinrassiger Weinkater auch nicht zu empfehlen ist. Der Weinschmerz zieht sich vom Rückenmark über die Schädeldecke mit filigraner Präzision exakt hinter mein rechtes Auge, um dort wie ein grobschlächtiger Kreuzschraubendreher in meinem Augapfel zu rotieren.
    Nach Alka-Seltzer-Cocktail mit einem guten Schuss Aspirin erklärt sich mein Körper schließlich unter Vorbehalt doch noch dazu bereit, seine Arbeit aufzunehmen. Diese beschränkt sich aber zunächst nur auf Atmen. So atme ich mich bis halb zwölf mittags in den Tag. Dann schaffe ich es, das Bett zu verlassen und mich ins Wohnzimmer zu schleppen. Dort sehe ich, dass während meiner Metamorphose einige Anrufer ihr Glück versucht haben. Auf dem Anrufbeantworter befinden sich fünf Nachrichten. Vier von meiner Mutter, die sich dreimal davon auf ihrer Kurzwahltaste geirrt hat, und ein Anruf von Jana. Sie fragt mich hörbar belustigt, ob ich wieder unter den Lebenden weile, und hofft auf ein weiteres baldiges Treffen mit mir. Gestern bin ich direkt mit dem Taxi nach Hause gefahren, und wir haben uns nicht in einem
Hotel bis zum Morgengrauen vergnügt. Außerdem wollte ich ihr ja ohnehin beichten, aber ich war durch den Wein einfach zu nichts mehr fähig.
    Schon verrückt. Seit Jana in mein Leben getreten ist, fühle ich mich eigentlich immer großartig. Schon irgendwie schade, dass sie mich nur deswegen mag, weil sie denkt, dass ich ein ganz anderer sei. Mir ist auch klar, dass ich ihr nun aber wirklich schleunigst reinen Wein einschenken muss. Doch schon bei den Worten reinen Wein einschenken wird mir wieder übel. Daraufhin werden mir zwei Dinge klar.
    Erstens: Dass das Sprichwort und die Erinnerung an Wein mich fast zum Kotzen bringen und dass ich sie vermissen werde. Aber durch sie habe ich wenigstens wieder die Freude in meinem Alltag entdeckt.
    Zweitens: Das Leben ist wie eine Drehtür. Manchmal bist du schneller wieder drin, als du dachtest. Zumindest, wenn du für einen Moment die Augen schließt und bereit bist, weiterzugehen und nicht zurückzuschauen.
    Sie ist für meine Seele wie eine Welle, die sich immer wiederkehrend über meinen aufgewühlten Seelensand legt und alles glättet. Ohne zu fragen, warum oder wie oft noch. Sie tut es einfach, weil es ihr Naturell ist, sich an Land zu spülen.
    Das Telefon klingelt. Das ist wohl Gedankenübertragung. Als ich den Hörer abnehme, fällt es mir trotz Schraubenzieher im Kopf nicht schwer, den Pegel der Euphorie auf ein höheres Niveau zu heben. Ich werde sie mit einem Späßchen am Telefon begrüßen.
    »Vierundzwanzig-Stunden-Escortservice Don Juan, Sie sprechen mit dem Geschäftsführer Robert Süßemilch. Was kann ich für Sie tun?«
    Brüller.
    Denke ich zumindest.
    Denn am anderen Ende herrscht Schweigen. Wahrscheinlich habe ich mit dem Euphoriepegel doch etwas übertrieben.
    »Hallo?«, frage ich sicherheitshalber nach und will bereits wieder auflegen, als am anderen Ende doch noch eine Stimme ertönt, die gleichsam vertraut wie samtweich klingt.
    »Robert?«
    »Ja?«
    »Hi, hier ist Steffi. Ich würde mich gerne mit dir treffen und ein paar Sachen besprechen, wenn es okay für dich ist.«
    Steffi?
    Steffi!
    Ha!
    Ha!
    Und nochmals HA!
    Endlich! Da habe ich sie also doch erwischt! Es war bestimmt das Ding mit der Sushibar. Ich wusste, dass dieser Anruf irgendwann kommen würde. Robert Süßemilch ist wohl doch nicht so ein Luschi-Mann. Ich erkläre mich natürlich für ein Treffen bereit, und wir verabreden uns für den übernächsten Abend im Harveys am Friedberger Platz.
    Tja, das Leben ist wie eine Drehtür. Manchmal bist du auch schneller wieder draußen, als du dachtest. Zumindest wenn du für einen Moment die Augen geschlossen hattest und dich zu früh gefreut hast.

27
Der treue Charly
    E s ist Bundesligaspieltag, und ich erhalte von meinem Chef das Angebot, seine zwei Dauerkarten für das Heimspiel der Eintracht zu bekommen.