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Weichei: Roman (German Edition)

Weichei: Roman (German Edition)

Titel: Weichei: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Boltz
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Runde Erziehung von Mama.
    Schließlich wird dem ersten von uns das Mikro gereicht. Sofort beginnt er mit seiner Ausführung: »Intensive Säure, schimmernder Zwiebelton, satter Nachhall.«
    Ich schaue in das leere Sektglas in meiner Hand.
    »Hmm, stimmt. Jetzt schmeck ich’s auch.«
    Es folgt kurzer Applaus für den ersten Kandidaten, und Herr Pütz deutet auf den Rest von uns.
    »Jut, isch bitte nun alle Kandidaten, ihre Bewertungstäfelschen für diesen einzischartigen Champagner hochzuhalten.«
    Ach so, die Tafeln. Na ja, das, was ich noch von dem Sekt weiß, der sich nun sogar als Champagner herausgestellt hat, ist, dass er geprickelt hat, und das soll das Zeug doch wohl auch, oder? Also gebe ich mal sieben Punkte, damit kann man nicht verkehrt liegen.
    Spätestens jetzt weiß ich, warum ich Biertrinker bin. Noch nie hat mich Henninger an der Tanke oder Trude, die Wirtin vom Bierstübchen am Eck, vor den Eintrachtspielen gefragt, nach was mein Bier schmeckt. Wenn ich denen was von Zwiebelaromen erzählen würde, hätte ich wohl ruck, zuck eine an der Backe. Und zu einem Pils muss man auch weder davor noch danach was sagen. Höchstens »Prost« oder »Ich muss mal aufs Klo, weil’s so drückt«.
    »Unsere Kandidaten zeijen sisch also fast einstimmisch.
Dann kommen wir nu zu der zweiten Runde. Ein Aperitif-Wein.«
    Wieder geht Herr Pütz, den ich einst Jean nennen durfte, durch die Reihen und präsentiert die Flasche dem Publikum. Dann füllt er unsere Gläser. Diesmal exe ich das Teil nicht komplett weg, sondern sondiere stattdessen die Lage. Schließlich lernt man ja aus seinen Fehlern. Ich versuche, aus den Augenwinkeln zu erkennen, was die anderen Kandidaten um mich herum nun veranstalten. Der Erste hält das Glas gegen das Licht und inspiziert das Ganze. Ich tue es ihm gleich, kann aber keinerlei Fingerabdrücke oder Lippenstiftreste auf dem Glas erkennen. Alles einwandfrei sauber. Dann steckt auch er seine Nase in das Glas und schlürft anschließend genüsslich den Wein aus dem Glas, wie einst Hannibal Lecter in Das Schweigen der Lämmer das Verspeisen der Leber eines seiner Opfer zelebrierte.
    Ich frage meinen Nachbar zur Rechten, ob das hier normal sei. Er meint, durch das Süffeln verbinde sich der Sauerstoff besser mit den Geschmacksaromen.
    Aha, Sauerstoff also.
    Ich trinke einen großen Schluck und versuche, mich dabei krampfhaft an einen weiteren Film zu erinnern: Brust oder Keule mit Louis de Funès, in dem er einen Restauranttester mimt. Ich werde aber aus meinen Gedanken gerissen, als der Zweite in unserer Reihe nach seiner Meinung gefragt wird.
    »Blaubeeraromen, kurzes An- und Abklingen, sehr ausgewogene Balance, cremig, scharf an der Spitze, aber dennoch rund im Nachhall. Holziges Raucharoma.«
    »Was?« Ich zucke erschrocken zurück, während der Applaus aufbrandet. Da kann es einem ja angst und bange werden. Was halte ich denn hier für ein Teufelszeug in Händen? Ich schaue entsetzt in mein Glas. Das soll alles in diesem Glas
stecken? Da ist mir irgendwas verborgen geblieben. Wahrscheinlich war die Dosis zu gering, denke ich und nehme einen größeren Schluck als zuvor.
    Ich schlucke.
    Schmecke.
    Warte.
    Dann bin ich mir sicher.
    Nee … cremig ist da nix. Vielleicht pelzig, wenn ich noch zehn von den Dingern trinke.
    Verdammt, ich hätte wenigstens ’ne Kleinigkeit essen sollen. Das Zeug greift ziemlich schnell. Dennoch, mir gefällt der Wein und noch viel mehr seine Wirkung. Acht Punkte.
    Die dritte Runde wird eingegossen.
    Und diesmal erkenne ich immerhin auf Anhieb, dass es ein Weißwein ist. Wieder wird die Flasche ins Publikum gezeigt, was jeden Einzelnen erneut ehrfürchtig die Augenbrauen nach oben ziehen lässt.
    Gleiches Prozedere wie zuvor: Glas gegens Licht, Nase rein und den Hannibal Lecter machen. Cremig ist immer noch nicht mein Thema, aber immerhin schmecke ich was: Der Wein schmeckt süß.
    Bin gespannt, was der Kollege zur Linken dazu sagt. Komm, gib mir einfach recht und sag: Er schmeckt süß!
    Dann nippt er, schaut wichtig und nickt zufrieden.
    »Angenehme Frucht, intensive Säure, grasig mit floralen Nuancen und einem schönen weichen Abgang.«
    Also süß, denke ich. Man kann es aber auch so ausdrücken, und ich fühle mich ein Stück weit bestätigt.
    Auch dieser Clown räumt Applaus ab, und nun ist endgültig auch mein Ehrgeiz geweckt. Das kann ein Stück weit auch am Alkohol liegen, der sich mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit in mir ausbreitet und spürbare

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