Weihnachten mit Mama
ich, dass Blut hervorsprudeln würde, »können sie nichts anfangen. Brauchen Kuchen, keine Krümel, verstehste?«
»Schwere Lasten, was?«
»Genau. Superschwer.« Und damit wuchtete sich Zweihundert-Kilo-Schottenhemd wieder hinters Lenkrad, drehte den Anlasser und scherte den Mercedes mit einer kleinen, aber genau bemessenen Bewegung aus dem Handgelenk aus der Reihe. Dann nahm er Kurs auf Mailberger. Ich drehte mich um. Im Rückfenster sah ich die Taxifahrer schreien und gestikulieren. Leider bekam ich das Ende des Gemetzels nicht mit. Unser Wagen nahm Fahrt auf.
Ungelogen: Zweihundert-Kilo-Schottenhemd passte nicht durch Mailbergers antike Tür. Er betrat den Laden leicht seitlich gedreht. Und er war panisch darauf bedacht, mit seinem Volumen nichts in diesem vollgerümpelten Kuriositätenkabinett an- oder umzustoßen. Doch seine Navigationskünste waren bewundernswert. Es gelang ihm, durch den Laden zu tippeln wie ein leichtfüßiger Tanzbär. Als er das Objekt unserer Begierde sah, grunzte er nur.
»Das da?«, fragte er ungläubig, ja abschätzig.
Mailberger nickte.
Papa nickte.
Ich nickte.
Zweihundert-Kilo-Schottenhemd zuckte nur die Achseln und schüttelte mitleidig den Kopf. Dann bückte er sich, nahm den Ständer mit einer Hand hoch, drehte sich um und ging zurück zum Taxi. Und das Einzige, was er in Erschütterung brachte, war der Mohr am Eingang, auf dem Mailberger seine Visitenkarten deponiert hatte. Eine der Karten wirbelte hoch und segelte zu Boden. Papa hob sie auf und drückte sie Mailberger in die Hand.
»Ein Hebel«, sagte er nur.
Den gusseisernen Ständer über das Hochparterre und die gewundene Holztreppe in den ersten Stock des Siebenschönschen Domizils zu befördern, bereitete Zweihundert-Kilo-Schottenhemd ebenfalls keine Mühe; grazil und ohne erkennbare Mühe schaffte er ihn nach oben. Er trug ihn wie Kate Moss ihr Prada -Täschchen, schwenkte ihn sogar kokett, um uns winselnden Schwächlingen zu zeigen, dass das nun wahrlich kein Kraftakt für einen richtigen Mann sei.
Mama empfing ihn an der Wohnungstür mit einem bewundernden Blick, zu dem nur Frauen angesichts männlicher Kraft und Herrlichkeit fähig sind. Sie klatschte in die Hände, rief immer nur »Wunderbar! Wunderbar!« und wies dem Transporteur den exakten Platz im Salon an, wo er den Ständer absetzte. Und wo wir ihn vermutlich für den Rest unseres Lebens stehen lassen mussten. Fast hatte ich den Eindruck, der Ständer würde zu Boden schweben, so behutsam stellte Mr Big ihn ab.
»War mir ein Vergnügen, gnädige Frau!« Er rieb sich die Hände.
Mama rieb sich die Hände.
Papa rieb sich die Hände.
Ich rieb mir nicht die Hände. Ich zückte mein Portemonnaie und entlohnte den Titanen fürstlich. Er konnte nicht wechseln. Warum auch? Also nickte Papa großherzig. »Stimmt schon«, sagte er. Wieder einmal legte er ein bewunderungswürdiges Beispiel für die Großzügigkeit ab, die in meiner Familie bezüglich des Geldes anderer Leute herrschte.
»Na, dann«, sagte der Titan nur und steckte ein halbes Monatsgehalt ein. »Schönen Dank auch.«
»Wir danken Ihnen, Herr Ständermann«, sagte meine Mutter und tätschelte Zweihundert-Kilo-Schottenhemd vertraulich am Arm.
» Merry Christmas, Ma’am . Und hier …« Er reichte ihr eine abgegriffene Visitenkarte. »Wenn mal wieder was zu transportieren ist. Was Schweres, meine ich.« Grinste dieser Kraftprotz etwa anzüglich?
»Oh … vielen Dank. Fröhliche Weihnachten auch Ihnen!«
Mama schloss die Tür hinter ihm und wandte sich uns zu.
»Das habt ihr ganz prima gemacht, Jungs«, sagte sie. Papa winkte verlegen ab. Ich platzte vor Stolz.
»Ganz prima … ja.«
Mit unseren vereinten schwachen Kräften gelang es uns, die Edeltanne aufzurichten und einzustielen. Klack … klack … klack … klack … Die Zangen schnappten freudig zu. Nie hatte ich ein hübscheres, satteres Geräusch gehört. Der Baum stand felsenfest. Nicht einmal Bruno würde ihn zum Schwanken bringen. Nicht einmal zehn Brunos, die sich gleichzeitig in ihm festkrallten. Er stand so felsenfest und unerschütterlich, wie man es von einer deutschen Weihnachtstanne erwarten konnte.
Der Rest war ein Kinderspiel. Wie kinderleicht es war, wurde ich allerdings nicht mehr gewahr, denn mein Vater scheuchte uns aus dem Zimmer. Er wollte keine Zeugen für sein großes schmückendes Werk. Nur für das Finish ließ er meine Mutter in den Salon – sie durfte dem Patriarchen dann noch den einen oder anderen
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