Weihnachten mit Mama
altjüngferlichen Mund, als habe man ihr einen Schwamm mit Essig gereicht.
»Unglaublich!«, krächzte Robert. Und dann leiser, wie nur zu sich selbst: »Perlen vor die Säue!«
Innerhalb einer halben Sekunde war die überaus hellhörige Charlotte auf hundertachtzig.
»Wie bitte? Du nennst mich eine Sau?«
»Aber … Lotte … Charlotte … ich bitte dich. Niemand hat dich eine Sau genannt«, versuchte Mama zu beschwichtigen.
Oma Annerose goss munter Öl ins Feuer.
»Doch! Hat er! So habe ich’s auch verstanden!«
»Da hörst du’s, meine Liebe. Mutter ist mit mir einer Meinung.«
Das wiederum wollte Oma nicht so einfach hinnehmen. Sie machte eine abfällige Handbewegung, als wollte sie eine lästige Fliege verscheuchen. Sie war nie mit Charlotte einer Meinung. Ihr gefiel nur die Neuauflage der alten Konkurrenz zwischen ihren beiden ältesten Töchtern. Sie rieb sich sogar die Hände. »Nun wird’s lustig. Endlich mal wieder Zoff in dieser alten Bude.«
Onkel Bernhard, der bislang geschwiegen hatte, grinste sardonisch. »Bei uns im Allgäu wird das nicht funktionieren mit deinem Winterapfel .«
» Weihnachtsapfel «, korrigierte ihn Robert. » Bayerischer Weihnachtsapfel .« Er begann, mir leidzutun.
»Ja, eben … was fürs entbehrungsgewohnte Bergvolk.«
Karin stieß ihren Mann in die Seite. Verärgert zischte sie ihm zu: »Halt bloß die Klappe … jetzt!«
»Schon gut, schon gut«, gab Bernhard klein bei. Dann grummelte er, nur für mich hörbar: »Der Kluftinger wird das Gesöff lieben.«
»Wie? Das war’s schon?«, fragte Oma.
»Ist jetzt eeendlich Bescherung?«, fragten die Zwillinge.
Man muss Papa zugutehalten, dass er ein vorzügliches Gespür für Timing bewies. Bevor die Dinge hier völlig aus dem Ruder liefen und der große Siebenschön-Weihnachtsapfel-Krieg ausbrach, von dem noch Generationen sprechen sollten, erhob er sich, klopfte an sein Glas und bat um Ruhe.
»Liebe Gäste«, begann er, »lassen wir den Weihnachtsapfel doch einfach noch ein bisschen reifen. Wir sind ja hier nicht auf einer Verkostung in Roberts Kellerei. Sondern auf Elisabeths großem Geburtstag. Und da möchte ich doch ein paar Worte zu diesem festlichen Anlass unseres Zusammentreffens verlieren.« Er räusperte sich. »Francis, wenn Sie so gut sein und und jetzt allen Wein einschenken wollen. Wir wollen auf unsere Betty anstoßen.«
Als Francis mit zwei Weinflaschen herumging und jeden fragte, ob er White Wine oder Red Wine wollte, legte sich andächtiges Schweigen über die Runde. Waffenstillstand , dachte ich und blickte Papa bewundernd an. Er hatte genau den richtigen Zeitpunkt für seine »Laudatio« gewählt.
Als alle Wein in ihren Gläsern hatten – und die Zwillinge Apfelschorle –, hob mein Vater sein Glas und räusperte sich. Und dann sprach er frei.
Er wandte sich seiner Frau zu. »Liebe Betty! Dies ist ja, wie du weißt, nicht meine erste Rede, die ich dir zu Ehren halte. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Tischrede voller Herzklopfen auf unserer Hochzeit und an eine zu deinem fünfzigsten Geburtstag, der mir so nah vor Augen steht, als sei er jüngst erst gewesen. Zu deinem Sechzigsten sind wir beide nach Wien geflüchtet, da gab’s keine Reden, sondern nur Küsse.«
»Hoho!«, riefen Robert und Bernhard gleichzeitig. Ja, hier wurden Maßstäbe gesetzt.
»Und dabei ist es heute nicht einmal ein runder Geburtstag. Aber gleichwohl ein ganz besonderer. Denn es ist dir gelungen, zu diesem Weihnachtsabend und Geburtstag die ganze Familie um unseren Tisch zu versammeln. Und letztendlich ist es auch egal, welche Zahl auf der Torte steht … oh, ich erfahre gerade, wir haben gar keine Torte … wie auch immer … oder auf den Glückwunschkarten. Aber dies ist doch ein Geburtstag, an dem du erlebst, dass alle unsere Kinder erwachsen und wohlgeraten geworden sind, dass unser Nest bald leer sein wird, bis auf den alten Zausel an deiner Seite, der von dir nicht lassen mag, ganz gleich, welche Zahlen noch auf ihn zukommen mögen.
Also, du jung gebliebene Frau mittleren Alters in den besten Jahren – jetzt bist du endlich wieder frei. So frei wie eine Familienbeglückerin eben sein kann. Jetzt kannst du all deine Energie auf mich richten …«
»Kann’s kaum erwarten!«, trompetete Robert dazwischen.
»Ich auch nicht«, sagte Papa und fuhr fort: »Aber noch besser: auf dich selbst. Wenn du das überhaupt schaffst!«
Mama schenkte ihrem Liebsten ein wehmütiges Lächeln.
»Jedenfalls möchte ich
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