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Weihnachtsgeschichten am Kamin 02

Weihnachtsgeschichten am Kamin 02

Titel: Weihnachtsgeschichten am Kamin 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Richter , Stubel,Wolf-Dieter
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zu singen: «Macht hoch die Tür, die Tor macht weit!» Mitten in unserem Gesang geschah es dann. Der Baum fiel um! Vater sprang auf die ins Stroh gefallenen Kerzen zu und Mutter schrie auf: «Erbarmung, Jesus, die Bibel brennt!», griff nach ihr und löschte mit ihrem Kopftuch eine Kerze, die auf die Bibelseite gefallen war. So wurde unsere Bibel gezeichnet! Dieses Brandmal erinnert mich stets an einen wundersamen Heiligabend.

    Georg Doskocil

«Die Waise»

    Am frühen Weihnachtsabend kam ich am hell erleuchteten Waisenhaus unserer Großstadt vorbei. Die große, dunkle Tür öffnete sich ein wenig, und ein Junge, vielleicht n Jahre alt, kam heraus in seinem etwas abgetragenen, aber warmen Janker, mit Pudelmütze und dickem Schal um den Hals. Diese Sachen waren wohl neu.
    Er trottete die Allee entlang in Richtung Stadtpark. Seine Jackentaschen waren prall gefüllt. Ab und zu griff er hinein und steckte sich einen Kuchen oder Keks in den Mund.
    Sicher war er gleich nach der frühen Bescherung dem Fest ausgewichen, um allein zu sein.
    Ich folgte ihm unauffällig. Der Waisenjunge wischte den Schnee von einer Bank, klopfte den Handschuh ab und setzte sich. Just da schniefte eine kleine Promenadenmischung von Hund auf die Bank zu, setzte sich in hinreichender Entfernung von dem Jungen und schaute hinüber. Der Junge sah ihn sofort, zog ein Stück Keks aus seiner prallen Tasche und hielt es dem kleinen mageren Kerl entgegen. Dazu redete er leise und unentwegt auf das Hündchen ein, bis es seinen ganzen Mut zusammennahm und langsam so nahe kam, daß er den Bissen schnappen konnte. Gleich war ein neues Stück in der warmen Kinderhand.
    Immer nahm der Junge auch ein Stück. «Ein Stück du, ein Stück ich», sagte er dabei, «ischa Weihnachten.» Der Tascheninhalt nahm langsam ab, und die Bäuche der beiden schwollen an.
    Dann irgendwann wurde das Schweifwedeln stärker, der Hund mochte nicht mehr. Der Kleine ging zum Jungen, leckte ihm einmal über die Hand, drehte um, und ab ging’s im Schweinsgalopp.
    «Weihnachten», murmelte der Junge, stand auf und trottete in Richtung Waisenhaus.
    Am sogenannten Drittfeiertag sah ich die beiden wieder im Stadtpark, bei der gleichen Beschäftigung. Diesmal unterhielten sie sich schon lebhaft. Der Junge hatte so viel, auch altes, trockenes Brot in der Tasche, daß auch noch die Vögel etwas abbekamen. Man hatte ihm wohl gesagt, daß das Brot alt und trocken sein müsse, denn er prüfte die Brocken für die Vögel, damit sie nicht krank würden.
    Am Tag drauf ging ich dem Jungen hinterher zum Waisenhaus. Konnte ihn einer netten, jungen Pflegerin zeigen.
    «Wie heißt er?» — «Wie heißen Sie denn? Der hat doch nichts ausgefressen, der bestimmt nicht!» — «Nein, nein, ich habe ein Sparbuch für ihn, hundert Mark sind drauf.» Ich nannte meinen Namen und erzählte kurz unsere Geschichte).
    «Fein für ihn, er heißt Joachim Voss, genannt Jockel.» Ich schrieb den Namen hinein. «Sie bringen ihm das mit dem Sparbuch bei?» — «Natürlich, gerne.» — «Meinen Namen haben Sie sicher wieder vergessen?» — «Ja, wenn Sie das so wollen.»
    Jedes Jahr wuchs Jockels Sparbuch um hundert Mark, und ich konnte die beiden im Stadtpark immer wieder beobachten. Der kleine Hund aber wurde immer asthmatischer, bis eines Tages Jockel allein und traurig auf seiner Bank saß. Er war nun hoch aufgeschossen, ein intelligentes und sympathisches Gesicht.
    Inzwischen mit dem Sparkassendirektor gut bekannt geworden, bat ich ihn, ein Auge auf dieses Sparbuch zu haben.
    «Sparbuch?» fragte ich immer mal, selten genug. «Okay.» Na also. Aber eines Tages sagte der Direktor: «Er braucht noch ein paar Tausend dazu. Ein Imbiß.»
    «Gib sie ihm, ich steh grade dafür.»
    Beim großen Supermarkt hatte ein kleiner Imbiß eröffnet.
    Ich erkannte ihn sofort. Sehr jung noch, aber wendig. Ich aß bei ihm. Jedes Jahr kamen weiter meine hundert Mark auf sein Sparbuch. «Sparbuch?» fragte ich dann wieder den befreundeten Direktor. «Okaystens!» sagte er und grinste.
    Im Jahr später war der Imbiß rundherum zugebaut und sehr hübsch eingerichtet und warm. Eine nette Frau arbeitete darin, seine Frau. Wieder einige Jahre später ging’s um so viel Geld, daß ich eine Weile überlegte. «Gib’s ihm», sagte ich dann. «Ein Hotel steht an», antwortete der Direktor.
    Noch einige Jahre später: «Sparbuch?» Der Direktor lächelte. Er ging einem Kunden bis zur Tür entgegen, begrüßte ihn sehr höflich. Dann kam

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