Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weihnachtsgeschichten am Kamin 04

Weihnachtsgeschichten am Kamin 04

Titel: Weihnachtsgeschichten am Kamin 04 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Friedrichsen , Ursula Richter
Vom Netzwerk:
in die Arme, kniete mit ihnen nieder und betete zu dem großen, allmächtigen Gott.
    Vergessen sind die Worte dieses Gebet. Aber der große Vater im Himmel mußte die vom Herzen kommenden Worte einer verzweifelten Mutter erhört haben. Denn fortan ging es Dank seiner Hilfe aufwärts. Wir wurden reich beschenkt an diesem kalten Heilig Abend 1946, und zwar mit Gesundheit und Wohlergehen für viele, viele Jahre.

    Friedrich Schiller

Eine kleine Weihnachtsgeschichte

    Mit jedem Schritt wurde es kälter, während ich die Stufen des U-Bahnschlundes hinaufstieg. Aber mit jeder Stufe strömte etwas mehr von jenem unnachahmlichen Duft gebrannter Mandeln und anderer weihnachtlicher Besonderheiten um meine Nase und verdrängte nach und nach den charakteristischen, eigenartig modrigen Geruch aller U-Bahnschächte der Welt.
    Oben angekommen ergriff auch schon der Trubel des Weihnachtsmarktes von mir Besitz. Menschen standen, schoben und schauten, verweilten mal vor diesem, mal vor jenem Stand und schleusten mich wie selbstverständlich in diese nostalgische Welt mit hinein.
    Alljährlich schmiegen sich den ganzen Advent über bis zum Heiligen Abend die kleinen, liebevoll hergerichteten Stände an die mächtige Petrikirche wie die Küken an die Henne. Eine heimelige, fast intime Atmosphäre geht von diesem Minimarkt aus. Ich mag dieses Fluidum, das an kalten Tagen Wärme zaubert und Kindheitsträume wachruft mit allen Köstlichkeiten jener Zeit: getrockneten Pflaumen, Bratäpfeln, Nüssen, Nikoläusen aus dünnwandiger Schokolade, Dresdner Stollen und Weihnachtsplätzchen. Und ich denke an das winzige silberne Glöckchen, das uns Kindern das Christkind ankündigte... und an Tante Adelheid, die dann als Christkind erschien — im langen, weißen Brautkleid mit Schleier und uns mit zartzittriger Stimme aufforderte, unser Gedicht aufzusagen, bevor sie uns beschenkte...
    Als mich jemand unsanft anrempelte, werde ich auch die anderen Leute wieder gewahr, die vorüberhasten und keine Zeit haben für solche Träumereien.
    Ich gehe rasch weiter — nein, ich brauche nicht zu hetzen; ich habe ja noch etwas Zeit bis zu meiner Verabredung am Jungfernstieg — ich entferne mich langsam von der fast beruhigenden Geschäftigkeit der Verkäufer auf dem Weihnachtsmarkt und gehe langsam und bewußt durch die Nebenstraßen. Morgen ist Weihnachten, und ich möchte jede Hektik vermeiden. Ich möchte — doch es gelingt mir nicht.
    Neben mir hupt ein Auto, daß ich erschrecke — ein paar Jugendliche waren unachtsam über die Straße gelaufen, weil sie das grüne Licht der Ampel nicht erwarten konnten. Zwei Arbeiter tragen ein Möbelstück aus einer Toreinfahrt, aber so hastig, daß ich einen Satz nach vorne machen muß, um nicht mit weggetragen zu werden. Kaum wieder auf dem Boden gelandet muß ich abrupt bremsen, um nicht einem älteren Ehepaar aufzulaufen, das offensichtlich mit dieser schnellebigen Zeit nicht mehr Schritt halten kann. Ich überhole vorsichtig und gehe langsam weiter — bis mich eine Woge pulsierender Menschen mitreißt, die eine grüne Ampelphase von der anderen Straßenseite herübergeschwemmt hat. Ich möchte mich wehren und kürzer treten, doch die Strömung nimmt mich mit, als hätte ich keinen Boden mehr unter den Füßen. So haste ich langsam durch die lauten Straßen, vorbei an berstend vollen Supermärkten, quirligen Bücherläden, an Menschen, die in allen Richtungen irgend etwas hinterherjagen... nehme «Hamburger» verschlingende Kinder wahr, pralle Tragetaschen schleppende Frauen, werbeträchtige Busse, schreiende Leuchtreklame, Möwen fütternde Hände, Schwäne auf dem Fleet, schwatzende Männer, kichernde Mädchen, Menschen... Weihnachtslieder... Lärm... Verrückte... Hektik... «Hoffnung»...
    Was? — Das war doch... das ist doch... das ist doch das Friedenslied aus «CATS», das ein Trompeter bläst — zuerst verschwommen leise, dann immer deutlicher. Unwillkürlich gehe ich in die Richtung, aus der die «Hoffnung» kommt. «Komm doch, sieh mich an und berühr mich»... singe ich in Gedanken mit, aber ich weiß nicht genau, wie der Text lautet. Viele singen in Gedanken mit — ich sehe es. Manche bleiben stehen, aber viele gehen in Richtung «Hoffnung». Der Klang der Trompete wird immer lauter, eindringlicher. Aber ich sehe keinen Trompeter. Dieser Ton, dieser weiche, warme und dennoch aufrüttelnde Ton läßt die Menschen sich anschauen, lächeln. Der ganze Rathausmarkt ist plötzlich wie ein riesiger Saal,

Weitere Kostenlose Bücher